Krieg der Umfragen. Vor dem Referendum werden die Befragungen zur Waffe

Am 15. August entscheiden die Menschen in Venezuela, ob der regulär bis 2006 gewählte Präsident Hugo Chávez vorzeitig abberufen wird oder seine Amtszeit fortsetzen kann. Der Opposition war es in den vergangenen Monaten gelungen, von knapp über 20 Prozent der Wahlberechtigten Unterschriften für eine solche Absetzung zu sammeln. Damit erreichte sie die in der Verfassung vorgesehene Anzahl, die für die Einberufung eines solchen Referendums nötig ist.

Trotzdem geht die venezolanische Linke, die den Präsidenten und den von ihm geführten tiefgreifenden Veränderungsprozeß unterstützt, von einem deutlichen Wahlsieg aus. Für beide Seiten gilt die Abstimmung als die entscheidende Auseinandersetzung in der seit Jahren anhaltenden Konfrontation. Für die Opposition ist das Referendum die erste und letzte legale Gelegenheit, eine Absetzung des Präsidenten zu erreichen, nachdem sie mit illegalen Aktionen wie dem Putsch vom April 2002, mehreren Mordanschlägen auf Chávez und anderen Aktionen gescheitert sind. Für die revolutionäre Bewegung wäre eine Wahlniederlage des Präsidenten eine Katastrophe, da das bolivarianische Projekt untrennbar mit dem Namen Chávez verbunden ist.

Rund sechs Wochen vor dem Referendum ist nun ein regelrechter Krieg um die Wählerbefragungen der Meinungsforschungsinstitute entbrannt. Triumphierend verbreiteten die oppositionellen Fernsehsender eine Umfrage des Instituts „Datánalisis“, derzufolge „57,4 Prozent“ der Wählerinnen und Wähler für eine Absetzung von Chávez stimmen wollen. Der Präsident habe demnach nur noch eine Unterstützung von „42,6 Prozent“.

Chávez selbst kritisierte diese Umfrage als manipuliert. Er erinnerte daran, daß das selbe Institut schon bei seiner ersten Wahl 1998 den rechten Gegenkandidaten Salas Römer hochgerechnet und ein „Kopf-an-Kopf-Rennen“ herbeigeredet hatte. Nur eine Woche nach der entsprechenden Umfrage gewann Chávez damals die Wahl mit einem zweistelligen Vorsprung.

In der Tat werden die von der Opposition gefeierte „Datánalisis“-Zahlen durch eine weitere Befragung widerlegt. Das Institut „Datos“ kam in einer ebenfalls von der Opposition beauftragten Umfrage auf gänzlich andere Zahlen. Diesen Angaben zufolge kann Chávez mit 51 Prozent der Stimmen rechnen, für eine Absetzung wollen sich nur 39 Prozent aussprechen, zehn Prozent sind noch unentschieden. Dieser 12-Punkte-Vorsprung wachse auch noch, so „Datos“.

Das Oppositionsbündnis „Demokratische Koordination“ jedenfalls nahm diese von den privaten Fernsehsendern bislang nicht verbreiteten Zahlen so ernst, daß es eine Sondersitzung der führenden Köpfe der Rechten durchführte. Die von den USA unterstützte und finanzierte Opposition fürchtet, daß sich die Unterstützung der Bevölkerung für die zahlreichen sozialen Projekte der venezolanischen Regierung – darunter die Alphabetisierungskampagne „Mission Robinson“ und das Programm zur Verbesserung der medizinischen Versorgung „Barrio Adentro“ – in wachsender Unterstützung für den Präsidenten Chávez ausdrücken wird.

Dieser rief die bolivarianische Bewegung zu großer Wachsamkeit auf: „Die in Washington entworfene imperiale Strategie, die von den hiesigen Lakaien buchstabengetreu befolgt wird, ist eindeutig: Weil sie wissen, daß wir die Mehrheit haben und daß diese Mehrheit gewachsen ist und weiter wächst, wollen sie die Welt glauben machen, daß sie die Gewinner seien, daß sie in den Umfragen auf fast 70 Prozent kommen und ich auf gerade mal 20 oder 30 Prozent. Das ist ihre Strategie, zu versuchen, daß die Welt das glaubt, das wird in den nächsten Tagen, in den nächsten Wochen noch deutlicher werden.“ Demnach werde die Opposition nach ihrer Abstimmungsniederlage eine angebliche Wahlfälschung beklagen. Die Proteste würden den USA dann als Vorwand für eine Intervention in Venezuela dienen.

Aktuelle Informationen über den Wahlkampf in Venezuela gibt es im Internet bei RedGlobe (www.redglobe.de) und auf der Homepage des Aktionsbündnisses Venezuela (www.netzwerk-venezuela.de).

Erschienen in der Wochenzeitung UZ – Unsere Zeit vom 28. Juni 2004