Koloniale Arbeitsteilung

Unter dem Schutz französischer Truppen geht die malische Armee offenbar brutal gegen die Zivilbevölkerung vor. Wie die internationale Menschenrechtsorganisation FIDH am Donnerstag in Paris verbreitete, nimmt vor allem die Zahl von Massenhinrichtungen in den zurückeroberten Gebieten Malis zu. Dutzende Menschen seien seit dem 10. Januar in Sévaré und anderen Orten im Zentrum des nordwestafrikanischen Landes von den offiziellen Streitkräften exekutiert worden. Zudem seien die Unterkünfte zahlreicher Tuareg von Soldaten durchsucht und geplündert worden. Den willkürlichen Morden fielen demnach nicht nur Menschen zum Opfer, die im Verdacht stehen, »Komplizen der Dschihadisten« zu sein, sondern auch solche, die sich bei Kontrollen nicht ausweisen konnten, im Besitz von Waffen waren oder bestimmten ethnischen Gruppen angehören.

»Diese Serie schwerer Verbrechen bestätigt die Sorgen, die wir seit mehreren Wochen formuliert haben«, erklärte FIDH-Präsident Souhayr Belhassen. »Diese Racheakte und die extremen Spannungen, die es zwischen den Gemeinden gibt, bilden einen explosiven Cocktail, der uns das Schlimmste befürchten läßt.« Die malische Armee weist alle Vorwürfe zurück – und sperrte Sévaré für Journalisten, um Nachforschungen zu verhindern. Demgegenüber wollte Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian die Verbrechen am Mittwoch abend im Fernsehsender France 24 nicht ausschließen. Man habe von dem »Risiko« gewußt, daß es Menschenrechtsverletzungen geben könne. Man vertraue aber darauf, »daß die malischen Armeeführer die Verantwortung übernehmen, Übergriffe zu verhindern«, sagte Drian. »Ihre Ehre steht auf dem Spiel.«

In dem Krieg der französischen und malischen Truppen, die offenbar nur zögerlich von Einheiten aus anderen westafrikanischen Ländern unterstützt werden, zeichnet sich immer deutlicher eine »Arbeitsteilung« ab. Die französische Luftwaffe bombardiert Dörfer, in denen Kämpfer der islamistischen Milizen vermutet werden. Dann rücken die Bodentruppen nach, die zumeist auf keinen nennenswerten Widerstand mehr stoßen. So berichtete der malische General Ibrahima Dahirou Dembélé dem französischen Auslandssender Radio France Internationale, bei der Rückeroberung der Stadt Diabaly am Montag habe es zwar heftige Kämpfe gegeben, »aber nicht mit Elementen am Boden«. Die »französischen Verbündeten« hätten aus der Luft »alle feindlichen Fahrzeuge und alle feindlichen Elemente neutralisiert«.

Während sich die französische Regierung weiter bemüht, den Eindruck von einem »sauberen Krieg« gegen die Islamisten zu verbreiten, sind zuverlässige Informationen aus den Orten des Geschehens kaum zu bekommen. Wie dramatisch die Situation tatsächlich ist, läßt sich an den Flüchtlingszahlen ermessen. Tausende Menschen konnten sich in die Nachbarländer retten. Sie hätten ihre Häuser wegen der Luftangriffe und Kämpfe verlassen, berichtete das UN-Flüchtlingshilfswerk ­UNHCR am Dienstag.

Statt um die Menschen kümmert sich Frankreich lieber um das Wohlergehen seiner Konzerne. Wie die Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstag meldete, hat Paris Eliteeinheiten in die an Mali angrenzende Republik Niger geschickt, damit diese dort die Uranbergwerke des Konzerns Areva schützen.

Unterdessen ist es auf seiten der Dschihadisten in Mali zu einer Spaltung gekommen. Der bisher als Führer der »Ansar Dine« bekannte Ag Intallah erklärte Reuters zufolge, er habe eine neue Organisation gegründet und wolle über eine Waffenruhe verhandeln.

Erschienen am 25. Januar 2013 in der Tageszeitung junge Welt