junge Welt, 13. August 2014

Kiew blockiert Hilfe

junge Welt, 13. August 2014Die ukrainische Regierung hat am Dienstag angekündigt, einen Hilfskonvoi aus Rußland für die Menschen in den belagerten Städten des Donbass blockieren zu wollen. Die 280 weißlackierten Lastwagen hatten sich am Morgen in Moskau auf den Weg zur Grenze gemacht, um Medikamente, Babynahrung, Getreide, Schlafsäcke und Stromgeneratoren in die von den Regierungstruppen belagerten Städte der Ostukraine zu bringen. Man koordiniere die Hilfe mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), hieß es von seiten der russischen Regierung. Das IKRK in Genf, das am Vortag schnelle Hilfe für die Zivilbevölkerung in der umkämpften Region gefordert hatte, bestätigte am Dienstag, man sei über den Transport informiert und bemühe sich mit den Behörden beider Länder um eine Klärung der Details.

 

In Kiew und im Westen wird die russische Hilfe offensichtlich als störende Einmischung empfunden, obwohl inzwischen selbst die staatlichen ukrainischen Medien die Notlage der Menschen in den belagerten Städten zugeben mußten. So berichtete Radio Ukraine International, die verbliebenen Einwohner von Lugansk müßten Flußwasser trinken, weil die Trinkwasserversorgung zusammengebrochen sei. Zudem seien die Menschen bei Temperaturen von mehr als 30 Grad schon seit mehr als einer Woche ohne Strom. Trotzdem werde Kiew den russischen Hilfstransport nicht über die Grenze lassen, kündigte der Vizechef der Präsidialverwaltung, Waleri Tschaluj, an. Die Frachten müßten auf Fahrzeuge umgeladen werden, die das Rote Kreuz angemietet habe. Die Sicherung werde dann »die Ukraine übernehmen« und weder eine militärische Begleitung noch die Präsenz von Vertretern der russischen Regierung zulassen. Jeder Versuch, die Grenze dennoch zu überqueren, werde als »Akt der Aggression« angesehen.

Der Vorsitzende der vom Verbot bedrohten Kommunistischen Partei der Ukraine, Petro Simonenko, hat dafür kein Verständnis. Bei einer Pressekonferenz in Berlin zeichnete er am Dienstag ein dramatisches Bild der Lage. »Unser Land ist im Bürgerkrieg. Es gab bereits mehr Tote als in den zehn Jahren Krieg, den die Sowjetunion in Afghanistan führte. Wenn das Problem Ukraine nicht gelöst wird, kann sich das ganz schnell auf Westeuropa auswirken.« Doch während sich die Regierungen der EU schnell auf Sanktionen gegen Moskau einigen konnten, hatte Brüssel für die nach offiziellen Angaben mehr als 293000 Menschen, die in der Ostukraine auf der Flucht sind, dem Roten Kreuz gerade einmal 250000 Euro zur Verfügung gestellt. Am Dienstag stockte die EU-Kommission diese Hilfe dpa zufolge um 2,5 Millionen Euro auf.

Oleg Musyka überraschen die Manöver des Kiewer Regimes nicht. Sie seien eine Folge der undemokratischen Zustände in der Ukraine. Musyka hatte am 2. Mai in Odessa den Überfall faschistischer Banden auf das dortige Gewerkschaftshaus überlebt, bei dem Berichten zufolge mehr als 100 Menschen ermordet worden waren (jW berichtete). Auf eine Aufklärung des Verbrechens durch die Behörden hofft er nicht mehr, obwohl diese drei Untersuchungskommissionen eingerichtet haben: »Drei Monate danach wissen wir, daß es keine Aufklärung geben wird.« Dabei seien zahlreiche der Täter inzwischen bekannt – doch angeklagt werden sollten die Opfer. Das sei jedoch von den Menschen in Odessa verhindert worden, die zwei Tage nach dem Verbrechen die inhaftierten Antifaschisten befreite. Wie er selbst hätten sich zahlreiche der Betroffenen danach aus Odessa abgesetzt – mehrere hundert von ihnen etwa nach Lugansk. Am Montag abend informierte Musyka in der völlig überfüllten jW-Ladengalerie über seine Erlebnisse. Dort ist bis einschließlich Montag noch die Fotoausstellung »Das Massaker von Odessa« zu sehen.

Aufzeichnung der Veranstaltung: www.kurzlink.de/odessa

Erschienen am 13. August 2014 in der Tageszeitung junge Welt