Kerry bastelt Regierung

Der Krieg im Irak hat allein in den vergangenen 17 Tagen mindestens 1075 Menschenleben gefordert. Die meisten der Opfer seien Zivilisten gewesen, erklärte der Sprecher des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Rupert Colville, am Dienstag in Genf. Die reale Zahl sei wahrscheinlich weit höher, betonte der Diplomat. Die Aufständischen des »Islamischen Staats im Irak und in der Levante« (ISIL bzw. ISIS) konnten ihren Vormarsch unterdessen fortsetzen. Wie der Nachrichtensender Al-Dschasira am Dienstag berichtete, kontrollieren sie inzwischen die nahe der nordirakischen Stadt Tikrit gelegene wichtige Erdölraffinerie Baidschi. Der irakische Außenminister Hoschjar Sebari wies das zurück. Die Anlagen würden durch irakische Spezialeinheiten kontrolliert.

 

Im Kampf gegen die ISIL hat sich die syrische Regierung mit dem Kabinett in Bagdad solidarisiert. Die »tragischen Ereignisse« im Irak drohten den gesamten Mittleren Osten »implodieren« zu lassen, zitierte die staatliche Nachrichtenagentur SANA Informa­tionsminister Omran Al-Subi. Zugleich dementierte der Minister indirekt eine Meldung, die dpa am Dienstag unter Berufung auf arabische Medien verbreitet hatte. Demnach sollen syrische Kampfjets Stellungen der ISIL in dem irakischen Grenzort Al-Kaim bombardiert haben. Al-Subi erklärte demgegenüber, die irakische Armee bekämpfe ISIL im Irak, »und Syrien bekämpft sie in Syrien«.

Die USA ihrerseits nutzen die Bedrohung durch ISIL, um den Druck auf Iraks Regierungschef Nuri Al-Maliki zu verstärken. Nachdem US-Außenminister John Kerry am Montag in Bagdad Maliki zur Bildung einer Einheitsregierung aufgefordert hatte, in der nicht nur Schiiten, sondern auch Sunniten und Kurden vertreten sein sollten, kam er am Dienstag in Erbil mit dem Präsidenten der kurdischen Autonomiegebiete, Massud Barsani, zusammen. Diesen drängte Kerry zur Beteiligung an einem solchen Kabinett. Washingtons Chefdiplomat stößt bei seinen Bemühungen jedoch offenbar auf Skepsis. Während Barsani dem Fernsehsender Al-Arabija zufolge Maliki für die im Irak entstandene Situation verantwortlich machte und inzwischen offen mit einer Unabhängigkeit des irakischen Teils Kurdistans liebäugelt, pochte Maliki darauf, daß sich alle politischen Kräfte bei der Regierungsbildung an das in der Verfassung vorgesehene Verfahren halten müßten. Seine »Partei für Rechtsstaatlichkeit« war bei der am 30. April durchgeführten Parlamentswahl stärkste Kraft geworden, ist aber auf Koalitionspartner angewiesen. Der seit 2006 amtierende Ministerpräsident ist Washington schon lange ein Dorn im Auge, vor allem seit er offen mit dem Iran kooperiert. Andererseits lehnen die USA eine Unabhängigkeit Kurdistans ab, weil eine solche die verbündete Türkei destabilisieren könnte.

In Bagdad wird offenbar nicht ausgeschlossen, daß die US-Administration Maliki sehenden Auges in die gegenwärtige Lage geraten ließ. Am Wochenende berichtete die britische Tageszeitung The Telegraph, daß der kurdische Geheimdienst bereits vor rund fünf Monaten die Dienste der USA und Großbritanniens über den bevorstehenden Angriff der ISIL auf die Millionenstadt Mossul gewarnt hatte. Vonseiten der westlichen Verbündeten habe es jedoch keinerlei Reaktion gegeben. Wohl nicht zufällig hob das Außenministerium in Bagdad auf seiner Homepage schon in der vergangenen Woche eine Erklärung Venezuelas hervor, in der Caracas die jüngsten Terroranschläge unter anderem im Irak verurteilt. Die Regierung von Nicolás Maduro machte in diesem Statement direkt die USA und andere NATO-Staaten für die in der Region entstandene Lage verantwortlich.

Erschienen am 25. Juni 2014 in der Tageszeitung junge Welt