Katalonien vor Gericht

Vor dem Obersten Gerichtshof Kataloniens (TSJC) hat am Montag der Prozess gegen den früheren Ministerpräsidenten Artur Mas und weitere ehemalige Regierungsvertreter begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, mit der Durchführung der Volksbefragung am 9. November 2014 ein Urteil des spanischen Verfassungsgerichts (TC) missachtet zu haben. Mas droht ein zehnjähriges Verbot der Übernahme öffentlicher Ämter.

Im Jahr 2014 hatte das katalanische Parlament beschlossen, die Bevölkerung der autonomen Region über eine Unabhängigkeit von Spanien abstimmen zu lassen. Auf Antrag der Zentralregierung in Madrid verboten das die Richter des TC. Daraufhin bildete sich eine Bürgerinitiative, die eine rechtlich nicht bindende Befragung durchführte. Etwa 2,3 der 6,3 Millionen Stimmberechtigten nahmen daran teil, von ihnen votierten mehr als 80 Prozent für die Eigenständigkeit. Die Anklage wirft Mas, seiner damaligen Vizepräsidentin Joana Ortega sowie Exbildungsministerin Irena Rigau vor, die Befragung mit öffentlichen Mitteln unterstützt zu haben, unter anderem durch die Bereitstellung von Räumlichkeiten in Schulen.

In seiner Aussage vor Gericht übernahm Mas die Verantwortung und betonte, seine Mitangeklagten hätten auf seine Anweisung gehandelt. Entsprechend klarer Beschlüsse des katalanischen Parlaments sei es darum gegangen, der Bevölkerung in einem partizipativen Prozess die Möglichkeit zu geben, ihre Meinung über eine Abspaltung von Spanien zu äußern. Die konkrete Durchführung der »Consulta« sei nicht mehr in die Verantwortung seiner Administration gefallen, sondern habe in den Händen Zehntausender Freiwilliger gelegen. Er habe also das Urteil des Verfassungsgerichts nicht missachtet.

Rund 40.000 Menschen versammelten sich nach Schätzungen der Tageszeitung Ara am Montag morgen vor dem Gebäude des TSJC, um Mas und die anderen Angeklagten zum Gericht zu begleiten. Unzählige »Esteladas« – die Fahnen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung – wehten, die Menge rief in Sprechchören »Wir sind alle angeklagt« und »Wahlen können nicht verurteilt werden«. Ministerpräsident Carles Puigdemont warf dem spanischen Staat vor, keine Gesetzesverstöße, sondern »Ideen« und ganz Katalonien zu verfolgen: »Ein Land, das zu einer Leistung wie der am 9. November 2014 in der Lage ist, verfügt über eine gesündere Demokratie als ein Land, das diejenigen auf die Anklagebank zwingt, die sie möglich gemacht haben.«

Öffentlich solidarisierte sich auch Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau mit den Beschuldigten. Sie veröffentlichte auf Twitter ein Foto, das sie am 9. November 2014 bei der Stimmabgabe zeigt, und schrieb dazu: »Wahlurnen aufzustellen kann in einem demokratischen Staat kein Verbrechen sein.«

Erschienen am 7. Februar 2017 in der Tageszeitung junge Welt