Kapitalismus tötet

Der verheerende Großbrand im Grenfell Tower, einem Hochhaus im Londoner Stadtteil Kensington, hat mindestens 17 Menschenleben gefordert. Man müsse jedoch damit rechnen, dass diese Zahl weiter steige, erklärte die Feuerwehr der britischen Hauptstadt am Donnerstag. 37 Menschen wurden demnach in Krankenhäusern behandelt, 17 von ihnen waren nach Angaben der Rettungskräfte in einem kritischen Zustand.

Das Feuer war am frühen Mittwoch morgen ausgebrochen, breitete sich Augenzeugenberichten zufolge innerhalb weniger Minuten über das gesamte Gebäude aus und überraschte bis zu 600 Menschen im Schlaf. Es wird vermutet, dass brennbares Material an der Außenfassade dafür gesorgt hat, dass die Flammen so schnell um sich greifen konnten. Der Sprecher der Londoner Feuerwehr, Danielle Cotton, erklärte am Donnerstag jedoch, man wisse bislang weder, wo das Feuer ausgebrochen sei, noch warum es sich in dieser Weise ausgebreitet habe.

Hinweise gibt es aber: Über Jahre hatten Anwohner des 1974 errichteten und in den vergangenen drei Jahren sanierten Gebäudes immer wieder gewarnt, dass der Tower im Falle eines Brandes zu einer tödlichen Falle werden könnte. Die Initiative »Grenfell Action Group« schrieb zuletzt im vergangenen November in ihrem Internetblog, dass wohl »nur ein katastrophales Ereignis die Unbeholfenheit und Inkompetenz unseres Vermieters KCTMO offenlegen und ein Ende der gefährlichen Lebensbedingungen sowie der nachlässigen Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften bringen« könne. Das Internetportal Evolve Politics schrieb unter Berufung auf Augenzeugen, dass die gerade erst angebrachte Außenfassade aus Aluminiumverbundplatten »wie Papier gebrannt« habe. »Und was war der Hauptgrund dafür, dieses Material zu benutzen? Man wollte den Anblick des Hochhauses für die Besitzer der in der Nähe liegenden Luxusapartments verschönern.«

Die kommunistische Tageszeitung Morning Star erinnerte am Donnerstag daran, dass die oppositionelle Labour-Fraktion im vergangenen Jahr bei der Debatte um ein von der Regierung vorgelegtes Wohnungsbaugesetz im Unterhaus beantragt hatte, die Vermieter für die Sicherheit in ihren Objekten verantwortlich zu machen. Die konservative Parlamentsmehrheit wies dieses Ansinnen zurück. Das sei nicht nur deshalb geschehen, weil viele der Torys selbst Immobilienbesitzer seien, schreibt der Morning Star. »Auch diejenigen, die es nicht sind, halten es für ein unumstößliches Gesetz, dass private Profite Vorrang gegenüber dem Recht der arbeitenden Menschen haben, sich in ihrem eigenen Zuhause sicher zu fühlen. Ihre Taten sind deutlicher als ihre Worte. In ihren Augen ist das Leben von Angehörigen der Arbeiterklasse nichts wert.«

Labour-Chef Jeremy Corbyn machte bereits am Mittwoch die Kürzungspolitik der konservativen Regierung für die Tragödie verantwortlich: »Wenn man den örtlichen Behörden die Mittel verweigert, die sie brauchen, dann muss jemand den Preis dafür bezahlen«, wurde er im Daily Mirror zitiert. Das Boulevardblatt berichtete zudem, dass der frühere Wohnungsbauminister Gavin Barwell, der erst vor wenigen Tagen von der britischen Premierministerin Theresa May zu ihrem neuen Kabinettschef ernannt wurde, einen Bericht über die Ursachen eines Großfeuers im Süden Londons unter Verschluss gehalten habe, das 2009 sieben Menschenleben gefordert hatte. Auch damals waren Sicherheitsmängel als eine Ursache vermutet worden.

Erschienen am 16. Juni 2017 in der Tageszeitung junge Welt