Kanzleramt will Atomwaffen behalten

Das Bundeskanzleramt hat sich offenbar gegenüber hochrangigen US-Diplomaten gegen einen Abzug der noch in Deutschland stationierten Atomwaffen ausgesprochen. Wie aus einem vom Internetdienst Wikileaks in der Nacht zum Dienstag veröffentlichten Dokument der US-Botschaft in Berlin hervorgeht, erklärte Ministerialdirektor Dr. Christoph Heusgen, der Chef der für Außen- und Sicherheitspolitik zuständigen Abteilung 2 des Kanzleramts, am 10.November 2009 gegenüber dem für Europa und Eurasien zuständigen »Assistant Secretary« des US-Außenministeriums, Philip H. Gordon, und Botschafter Philip D. Murphy, ein Abzug »der 20« taktischen Atomwaffen in Deutschland mache »keinen Sinn«, solange Rußland noch »Tausende« davon besitze. Angesprochen auf eine Passage des schwarz-gelben Koalitionsvertrages, in der genau dies gefordert wird, sagte Heusgen demnach, diese Aussage sei nur auf Druck von Außenminister Guido Westerwelle in das Papier aufgenommen worden. Gordon warnte, man müsse »über alle potentiellen Konsequenzen« nachdenken, bevor man einen Atomwaffenabzug aus der BRD und möglicherweise Belgien und den Niederlanden vorantreibe, so der Spitzenbeamte aus Washington. Sprecher der Bundesregierung wollten das Dokument gegenüber jW »aus grundsätzlichen Überlegungen« nicht kommentieren.

Wikileaks-Gründer Julian ­Assange plant unterdessen offenbar weitere Veröffentlichungen. Gegenüber dem US-Magazin Forbes sagte er in einem am Montag abend (Ortszeit) veröffentlichten Interview, Anfang 2011 werde der Dienst »Zehn- oder Hunderttausende Dokumente« aus einer »großen US-Bank« veröffentlichen. Dies werde vermutlich keine große Auswirkungen haben, »es könnte nur ein oder zwei Banken demontieren«, in denen es ein ganzes »Ökosystem der Korruption« gegeben habe. Außerdem läge Wikileaks umfangreiches Material aus Energiekonzernen vor, die der Dienst ebenfalls ins Netz stellen werde.

Erschienen am 1. Dezember 2010 in der Tageszeitung junge Welt