Kampf um Referendum

Die linke Opposition im chilenischen Parlament fordert, die Bürger des südamerikanischen Landes bereits am 15. Dezember über die Ausarbeitung einer neuen Verfassung abstimmen zu lassen. Auf einer Pressekonferenz am Dienstag (Ortszeit) in Santiago de Chile verlangte die Fraktion der Kommunistischen Partei, das noch aus der Zeit der Militärdiktatur stammende Grundgesetz dürfe »nicht in den eigenen vier Wänden« geändert werden, vielmehr müsse dazu von Anfang an die Bevölkerung einbezogen werden.

Im chilenischen Parlament wurde in dieser Woche bereits die Debatte um eine Modifikation des Abschnitts XV der Verfassung eröffnet, wodurch eine Beteiligung der Bevölkerung an den Debatten ermöglicht werden soll. Das rechte Regierungslager und einige Oppositionsparteien wollen sich allerdings Zeit lassen. In chilenischen Medien ist die Rede von bis zu vier Jahren, die für eine Reform der Verfassung nötig seien. Die Abgeordnete Carmen Hertz wies das zurück und forderte die Abgeordneten der Rechten auf, sich den Menschen zu stellen: »Wer sich traut, soll zu den friedlichen Demonstranten gehen und ihnen erklären, dass wir uns zwei oder drei Jahre Zeit lassen, um die Verfassung zu ändern.«

Offenbar als Reaktion darauf hat die ultrarechte »Unabhängige Demokratische Union« (UDI) am Mittwoch beim Verfassungsgericht beantragt, die kommunistischen Abgeordneten aus dem Parlament auszuschließen. Die Partei, die dem hinter Staatschef Sebastián Piñera stehenden Bündnis angehört, begründet das damit, dass die KP zu zivilem Ungehorsam aufgerufen habe.

Einer am Mittwoch veröffentlichten Studie des Meinungsforschungsinstituts Activa Research zufolge ist die Zustimmung für Piñera im Oktober auf nur noch 9,1 Prozent gefallen. Inzwischen könnte sie noch weiter gefallen sein, denn in Chile wächst die Wut über die brutale Unterdrückung der Proteste durch die paramilitärischen Carabineros. So drangen Beamte am Dienstag auf das Gelände einer Mittelschule in Santiago ein und feuerten Stahlkugeln auf Jugendliche ab, die sich dort an einer Protestaktion beteiligen wollten. Das Nationale Institut für Menschenrechte (INDH) gibt die Gesamtzahl der seit Beginn der Proteste Verletzten mit fast 1.700 an, das Rote Kreuz spricht sogar von 2.500 Opfern der Polizeigewalt. »Viele Verletzte gehen nicht in ein Krankenhaus, weil sie befürchten, verhaftet zu werden«, sagte der Präsident des Chilenischen Roten Kreuzes, Patricio Acosta, dem Rundfunksender Radio Cooperativa.

Mindestens 160 Menschen haben aufgrund des Agierens der Einsatzkräfte Augenverletzungen erlitten. Die Protestierenden werfen Polizei und Carabineros vor, gezielt auf die Gesichter der Demonstranten zu zielen. »Sie wollen uns die Augen nehmen, weil wir sie geöffnet haben«, hieß es bei Kundgebungen. Insbesondere Frauen sind im Polizeigewahrsam zudem sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen ausgesetzt. Mindestens 23 Menschen wurden getötet.

Erschienen am 7. November 2019 in der Tageszeitung junge Welt