junge Welt, 17. November 2008

Kampf dem Kapitalismus

junge Welt, 17. November 2008Es sollte der Durchbruch zur Rettung des Finanzkapitalismus werden – und es wurde zu wenig mehr als einem simplen Vorbereitungstreffen. Das wichtigste Ergebnis des am Sonnabend in Washington zu Ende gegangenen außerordentlichen Gipfeltreffens der G20, einem Zusammenschluß der acht wichtigsten Industriestaaten (G8) und Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien, ist, daß man sich bis zum 30.April 2009 erneut treffen will. Bis Ende März sollen sich die 20 Staats- und Regierungschefs konkrete Vorschläge überlegen. Hauptgrund für die Vertagung: Dann wird Barack Obama als neuer US-Präsident amtieren; mit der »lahmen Ente« George W. Bush mögen sich die übrigen Regierenden nicht mehr abgeben.

Der frühere kubanische Präsident Fidel Castro hingegen warnt vor überzogenen Erwartungen an den neuen US-Präsidenten. »Viele glauben, daß mit einem einfachen Wechsel in der Chefetage des Imperiums dieses Land toleranter und weniger kriegerisch sein wird«, schreibt er in seiner neuen »Reflexion«, die am Sonnabend in der kubanischen Tageszeitung Granma veröffentlicht wurde. »Die Verachtung für den jetzigen Präsidenten führt zu Illusionen über einen möglichen Systemwechsel. (…) Es wäre schon sehr naiv zu glauben, daß die guten Absichten eines intelligenten Menschen ändern könnten, was Jahrhunderte der Interessen und des Egoismus geschaffen haben.«

Auch Venezuelas Präsident Hugo Chávez hatte nichts vom Gipfeltreffen in Washington erwartet. Dort würden keine Entscheidungen getroffen, die der Welt bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise helfen könnten, prophezeite er bei einer Wahlkampfkundgebung seiner Vereinten Sozialistischen Partei (PSUV) in der venezolanischen Erdölstadt Barcelona. Der Staatschef erinnerte daran, daß gerade von Washington die »Hurrikane« ausgegangen seien, die die gegenwärtige Finanzkrise ausgelöst hätten. »Und diese Hurrikane in ihrer Gesamtheit heißen Kapitalismus. Der Kapitalismus ist der Weg des Untergangs der Völker.« Nur der Sozialismus könne der Weg zu deren Befreiung und Entwicklung sein.

Venezuela hat inzwischen die Mitglieds- und Beobachterstaaten der Bolivarischen Alternative für die Völker Unseres Amerika (ALBA) und des Energieprogramms Petrocaribe zu einem außerordentlichen Gipfeltreffen Ende des Monats nach Caracas eingeladen. »Wir werden dort wirklich Entscheidungen treffen, um unsere Völker zu schützen«, kündigte Chavéz an.

Der Staatschef räumte in seiner Ansprache ein, daß auch Venezuela die Auswirkungen der Krise zu spüren bekommt. »Die Erdölpreise sinken weiter. Es ist ein rasender Preisverfall, der eine bedeutende Verringerung der Steuereinnahmen der Regierung und der Ressourcen zur Unterstützung des Volkes bedeutet«, sagte Chávez. Der venezolanische Staat verfüge aber über ausreichende Ressourcen, um Maßnahmen gegen die Finanzkrise zu ergreifen, auch wenn er Einsparungen im Staatsapparat nicht ausschließen wollte.

ALBA wurde Ende 2004 auf Initiative von Chávez und Castro als Gegengewicht zu der von den USA angestrebten Amerikanischen Freihandelszone (­ALCA) gegründet. Heute gehören diesem Bündnis neben den Gründerstaaten auch Bolivien, Nicaragua, Dominica und Honduras an. Insgesamt 18 Staaten der Karibik und Mittelamerikas haben sich außerdem mit Venezuela zur Petrocaribe zusammengeschlossen und können dadurch das venezolanische Erdöl zur Vorzugskonditionen beziehen.

Erschienen am 17. November 2008 in der Tageszeitung junge Welt