Journalisten im Visier

Der »Übergangspräsident« des Putschregimes in Honduras, Roberto Micheletti, habe eine Diktatur im Stile des 1979 durch die Sandinisten vertriebenen nicaraguanischen Diktators Somoza errichtet, sagte in dieser Woche der rechtmäßige Präsident des zentralamerikanischen Landes, Manuel Zelaya, der seit mehr als drei Monaten in der brasilianischen Botschaft in Tegucigalpa ausharrt. Ein halbes Jahr nach dem Staatsstreich und einen Monat nach der unter Kontrolle des Regimes durchgeführten Wahlfarce ist eine Rückkehr zur Demokratie in Honduras weiterhin nicht absehbar. Für das zweite Halbjahr 2009 verzeichnet die Menschenrechtsorganisation COFADEH mindestens 4234 Menschenrechtsverletzungen, darunter Morde und Mordversuche, Mißhandlungen, Einschüchterungsversuche, Entführungen und willkürliche Razzien. Nun verschärfen Polizei und Militär ihr Vorgehen gegen unabhängige Journalisten des Landes.

 

Wie die Zeitung El Libertador, eines der Sprachrohre der Widerstandsbewegung gegen die Putschisten, am 28. Dezember berichtete, wurde der Herausgeber des Blattes, René Novoa, wenige Tage zuvor von Uniformierten aus einem Taxi geholt, beschimpft und auf offener Straße mißhandelt. »Sie prügelten mit ihren Gewehrkolben auf mich ein. Dann versetzte mir ein Soldat einen heftigen Schlag in die Magengrube, so daß ich zu Boden stürzte und für Augenblicke keine Luft mehr bekam«, berichtete Novoa in seinem Blatt. Anschließend seien die Soldaten abgezogen, ohne irgendeine Erklärung abzugeben. »Seit dem Putsch vom 28. Juni ist El Libertador Ziel von Verfolgungen und Morddrohungen geworden. Zuerst wurde Chefredakteur Jhonny Lagos durch Diktator Roberto Micheletti und die widerrechtliche Vizeaußenministerin Martha Lorena Alvarado bedroht, was ihn zwang, in den Untergrund zu gehen«, kommentierte die Redaktion diesen Zwischenfall und erinnerte daran, daß bereits drei Monate zuvor ihr Bildreporter Delmer Membreño von den Sicherheitskräften entführt und gefoltert wurde und anschließend ins Ausland flüchten mußte. Auch die Redaktionsräume wurden von Sicherheitskräften des Regimes überfallen, die Computer und Fotoausrüstungen beschlagnahmten.

Am Mittwoch wurde bekannt, daß zu Wochenbeginn auch der unabhängige Journalist César Silva von drei Bewaffneten in ein geheimes Gefängnis verschleppt und dort 24 Stunden lang verhört wurde. Seine Entführer wollten von ihm wissen, »wo die Waffen versteckt sind und mit welchen Gruppen ich zusammenarbeite«, wie Silva anschließend gegenüber COFADEH berichtete. Er habe einen Schutzengel gehabt, der ihm das Leben rettete, sagten ihm seine Entführer, als sie ihn in einem kaum bevölkerten Gebiet außerhalb von Tegucigalpa frei ließen. Offenbar reagierten die Entführer damit auf bereits in der Hauptstadt kursierende Gerüchte, die die Armee mit dem Verschwinden des Journalisten in Verbindung brachten.

Der Vorfall erinnert in bedrückender Weise an den Menschenrechtsaktivisten Walter Tróchez, der Anfang Dezember von Unbekannten verschleppt und verhört worden war. Nachdem seine Entführer ihn zunächst entkommen ließen, wurde Tróchez am 13. Dezember mitten im Zentrum von Tegucigalpa erschossen.

Seit dem Staatsstreich hat die Gewalt in Honduras erschreckende Ausmaße angenommen. Neben den Übergriffen durch die Putschisten fühlen sich auch gewöhnliche Kriminelle von dem Klima der Gesetzlosigkeit ermutigt. Allein über die Weihnachtstage wurden 63 Menschen ermordet, wie Polizeisprecher Orlin Cerrato einräumte. Die Zahl ermordeter Gegner des Regimes seit dem Staatsstreich wird von Menschenrechtsorganisationen mit 40 angegeben.

Erschienen am 31. Dezember 2009 in der Tageszeitung junge Welt