Imperium zum Nachschlagen

John Ellis Bush, genannt »Jeb«, will nächster US-Präsident werden. In der Ankündigung seiner Kandidatur warf er seinen »progressiven« Kontrahenten vor, »das von Generationen aufgebaute Militär kopflos aufgegeben« zu haben. Deshalb dürfe das höchste Staatsamt der Vereinigten Staaten nicht »von einem Liberalen zum nächsten Liberalen« übergeben werden. Sein Programm: Ein »stärkeres Amerika« (gemeint sind die USA), mehr Militär und ein enges Bündnis mit Israel. Dem derzeitigen Amtsinhaber, Barack Obama, wirft Bush vor, die Streitkräfte in eine »Unterlegenheit« geführt zu haben.

Doch auch von der internationalen Euphorie, die Obamas Amtsantritt 2009 begleitet und ihm sogar als Vorschuss den Friedensnobelpreis beschert hatte, ist nichts mehr übrig. Den USA fliegt derzeit die vom amtierenden Staatschef und seinen Vorgängern produzierte »Ordnung« im Nahen und Mittleren Osten immer deutlicher um die Ohren: Der Krieg im Irak ist wieder aufgeflammt, der in Afghanistan nie beendet worden. US-Bombenangriffe attackieren Ziele in Syrien, Drohnen ermorden echte oder vermeintliche Terroristen. Washington erteilt Israel und Saudi-Arabien Freibriefe für Militäraktionen. In anderen Regionen sind die US-Militärs offen oder insgeheim an Bürgerkriegen und Staatsstreichen beteiligt, zum Beispiel in Kolumbien.

Die Liste der US-Militäreinsätze erscheint unendlich. Deshalb hat es sich der Journalist Armin Wertz zur Aufgabe gemacht, eine möglichst vollständige Bestandsaufnahme vorzulegen, wann und wo die USA Einfluss auf andere Länder genommen haben, »entweder durch geheimdienstliche Bemühungen, eine ungeliebte Regierung zu einer Kurskorrektur zu zwingen oder zu destabilisieren, oder durch direkte militärische Operationen zur Unterstützung oder zur Beseitigung einer solchen Regierung«, wie er im Vorwort schreibt. Dabei räumt er ein: »Gelegentlich ist es schwierig zu entscheiden, wann eine Intervention gerechtfertigt oder sogar wünschenswert ist und wann sie ausschließlich der Durchsetzung eigennütziger, nationaler Interessen dient.« Als Beispiele für den ersten Fall nennt er den Eintritt der USA in den Ersten und Zweiten Weltkrieg, während der Putsch 1953 im Iran, der Vietnamkrieg oder die Einmischungen in Lateinamerika für den anderen Fall stehen.

Methodisch hat Wertz eine Fleißarbeit vorgelegt. Die Chronik reicht von der militärischen Besetzung der bis dahin nur von Ureinwohnern besiedelten Gebiete Nordamerikas 1794/95 bis zu den Einsätzen im Oktober 2014 zur Ebola-Bekämpfung in Guinea, Liberia und Sierra Leone. Ergänzt wird das Buch durch einen umfangreichen Fußnotenapparat sowie – besonders hilfreich – ein Länderregister. In diesem fehlt kaum ein (größeres) Land. So verhilft etwa ein Blick auf die Einträge zu »Syrien« zu wichtigen Erkenntnissen darüber, wie die USA schon 1947 bis 1957 die gerade unabhängig gewordene Republik destabilisierten. Den Beginn der gegenwärtigen Krise in Syrien datiert Wertz nicht auf 2011 – als die ersten Demonstration gegen das Regime von Baschar Al-Assad stattfanden – sondern bereits auf 2005, als der damalige US-Präsident George W. Bush die diplomatischen Beziehungen zu Damaskus abbrach und damit begann, die syrische Opposition zu finanzieren. Manche weltpolitische Krisen, die »aus heiterem Himmel« in die Nachrichten platzen, werden auf diese Weise verständlicher.

Leider bleibt Wertz aber bei der Aufzählung der US-Invasionen stehen. Andere imperialistische Akteure bleiben ausgespart. So werden Washingtons Einsätze in Mali 2004 und 2009 bis 2012 aufgelistet, die Intervention durch Frankreich findet jedoch keine Erwähnung. Durch dieses Herangehen kann Wertz Konflikte, die sich aus innerimperialistischer Konkurrenz ergeben, nicht als solche erkennen; alle Staaten der Welt erscheinen gleichermaßen als Opfer Washingtons, das als »Weltbeherrscher« (so der Titel des Buches) auftritt. So munitioniert das Buch gewollt oder ungewollt solche Rezipienten, die etwa Deutschland als Opfer der USA oder gar als von den Vereinigten Staaten »besetztes Land« wahrnehmen. Dabei waren deutsche Bundesregierungen in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder in die Invasionen der USA und in eigene blutige Operationen verwickelt. Würden wir den Maßstab, den Wertz an die Aktionen Washingtons anlegt, auf Bonn bzw. Berlin anwenden, wäre etwa beim Putsch gegen die gewählte Regierung von Salvador Allende in Chile im Jahr 1973 durchaus eine Mittäterschaft der Bundesrepublik zu konstatieren. Die Zerschlagung Jugoslawiens in den 90er Jahren, einschließlich des NATO-Krieges 1999, geht mindestens ebensosehr auf das Konto der Deutschland Regierenden wie auf das der USA. Es wäre also Zeit für einen zweiten Band. Titelvorschlag: »Die Ablösung. Militärische und geheimdienstliche Operationen der BRD«.

Armin Wertz: Die Weltbeherrscher. Militärische und geheimdienstliche Operationen der USA. Westend Verlag, Frankfurt/M. 2015; 400 Seiten, 24,99 Euro

Erschienen am 22. Juni 2015 in der Tageszeitung junge Welt