Jerónimo Carrera

»Hugo Chávez ist eine Katze mit drei Pfoten«

Jerónimo CarreraGespräch mit Jerónimo Carrera, Parteipräsident der Kommunistischen Partei Venezuelas

Im März 2008 trafen wir Jerónimo Carrera in Cantaclaro, dem Gebäude des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV) in Caracas. Zu diesem Zeitpunkt amtierte er bereits seit zwei Jahren als Präsident der Partei, ein Amt, das vor allem moralischen und repräsentativen Charakter hat. Die eigentliche Spitze des ZK der Partei bildet der Generalsekretär, derzeit Oscar Figuera. Doch Carrera genoß, wie sein Vorgänger Pedro Ortega Díaz, Ansehen weit über die Reihen seiner Partei hinaus. Bis zuletzt war er ein gefragter Gesprächspartner für venezolanische Medien aller politischen Richtungen. Auch für uns nahm er sich 2008 mehr als drei Stunden Zeit zum Gespräch, das die Grenzen eines normalen Interviews sprengte und eher einem Einführungsvortrag in Geschichte und Charakter der venezolanischen Revolution glich. Am 29. April 2013 ist Jerónimo Carrera im Alter von 90 Jahren in Caracas verstorben. Das Gespräch, das wir 2008 mit ihm geführt haben, wird hier erstmals in Auszügen veröffentlicht.

 

Sie sind jetzt 85 Jahre alt, ein langes Leben liegt hinter Ihnen …

Ja, ich stehe am Ende meines Lebens. Ich muß deshalb daran denken, was in einigen Jahren meine Enkel über ihren Großvater sagen werden. Werden sie sagen, daß er ein Kind der Umstände gewesen ist? Ich würde es vorziehen, wenn sie sagen, daß ihr Großvater ein beharrlicher, vielleicht auch sturer Mensch war, der immer seinen Prinzipien gefolgt ist.

Marx und Engels haben im Kommunistischen Manifest geschrieben, daß die Kommunisten es verschmähen, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Deshalb sage ich, wenn ich irgendwo hinkomme, immer als erstes, daß ich Kommunist bin. Ich fordere von anderen, daß sie mein Denken akzeptieren. Zugleich gehe ich immer davon aus, daß ich auch die Ideen der anderen respektieren muß. Wenn ich mein Gegenüber nicht respektiere, kann ich das von ihm auch nicht erwarten.

Ich möchte euch eine Anekdote erzählen, die sich vor acht, neun Jahren im Bundesstaat Amazonas ereignet hat. Dort, im Süden Venezuelas, treffen drei Länder zusammen: Kolumbien, Brasilien und Venezuela. Ich wollte dort mit dem katholischen Bischof sprechen, weil sich die Kirche dort noch immer auf ein Missionsgesetz aus dem Jahr 1915 stützt, das dem Vatikan Privilegien im Umgang mit den Indígenas gewährt. Als ich bei ihm war, stellte ich mich vor: Jerónimo Carrera von der Kommunistischen Partei Venezuelas. Er war etwas überrascht, aber dann sagte er: Ich mag Leute, die offen und ehrlich sind, so daß ich weiß, mit wem ich es zu tun habe. Es folgte ein zwei Stunden langes Gespräch über die Frage der Indígenas, in einer vollkommen respektvollen Atmosphäre. Solche Erfahrungen habe ich mein ganzes Leben lang gemacht: Wenn ich nicht verheimliche, wer ich wirklich bin, fühlen sich die anderen verpflichtet, ebenfalls offen zu sein.

Sie selbst sind jedoch nicht gläubig …

Ich bin gottlos geboren worden, ich habe nie geglaubt und nie Furcht vor einem Gott gefühlt. Aber als ich elf Jahre alt war, hat mich mein Vater nach La Trinidad im Westen Venezuelas geschickt. Dort wurde ich in eine katholische Schule gesteckt, die von irischen Priestern geleitet wurde. Jeden Sonntag war es Pflicht, zur Messe zu gehen. Ich habe aber lieber ausgeschlafen und bin nie hingegangen. Am nächsten Morgen aber mußte ich, wenn ich zur Schule kam, als erstes an einem Priester vorbei, der aus Deutschland stammte, und der für die Einhaltung der Disziplin verantwortlich war. Der gab mir mit einer Rute je drei Schläge auf beide Handflächen. Das waren ziemlich feste Schläge, so daß mir die Haut aufplatzte. Ich habe aber lieber die Schläge ertragen, als am Sonntag morgen aufzustehen und zur Messe zu gehen.

Mein ganzes Leben lang habe ich gute Beziehungen zu Christen, Juden, Muslimen oder Buddhisten gepflegt. Als ich in der Mongolei war, habe ich dort einen buddhistischen Tempel besucht und mich mit den Gläubigen unterhalten. Es gibt Menschen, deren Ideen stehen den meinen konträr gegenüber, und ich denke, daß sie sich irren. Aber sie wiederum denken, daß ich es bin, der sich irrt. Die Frage ist, wer die besseren Argumente hat, wer den anderen beeinflußt. Ich glaube, wenn eine Person offen und ehrlich ist und die Wahrheit sagt, ohne den anderen zu verletzen, gibt sie damit das beste Beispiel.

In meiner Heimatstadt Cumaná stand ich drei Jahre lang an der Spitze meiner Partei, von 1972 bis 1975. Der Bischof meiner Stadt war ein Priester, der von der anderen Seite Venezuelas stammte, aus Maracaibo in Zulia, ganz im Westen. Ich wußte, daß er dort Jahre zuvor die Zeitung der Katholischen Kirche geleitet und eine absolut reaktionäre Position vertreten hatte. Aber er hatte im Lauf der Zeit seine Haltung verändert, und deshalb hatte ihn die Kirche abgesetzt und an das andere Ende Venezuelas versetzt, mehr als 1300 Kilometer von seiner Heimat entfernt. Er bat um ein Gespräch, und als wir uns trafen, fragte er als erstes: »Wie geht es dem Hähnchen?« Der rote Hahn ist das Symbol der Kommunistischen Partei Venezuelas. »Geht es voran?« fragte er. So hat mich das Leben gelehrt, daß sich die Menschen ändern können. Die Erfahrungen, die ein Mensch macht, bestimmen seine Positionen.

Gerade in Lateinamerika gibt es viele Beispiele dafür, daß Kirchenleute auf fortschrittliche und sogar revolutionäre Positionen übergegangen sind …

Dieses Phänomen gibt es überall in Lateinamerika. Als ich das letzte Mal in Mexiko-Stadt war, sagte ich den mexikanischen Freunden, die mich eingeladen hatten, daß ich die Basilika der Jungfrau von Guadalupe sehen wolle, die große Wallfahrtskirche. Simón Bolívar hat schon in seinem Brief aus Jamaika 1815 darauf hingewiesen, wie die religiöse Bedeutung der Jungfrau von Guadelupe die Geschichte Mexikos beeinflußt hat. Das wollte ich sehen. Und tatsächlich waren dort 200000, vielleicht auch 300000 Menschen. Weil die alte Kirche eingestürzt ist, haben sie dort eine riesige neue Kirche gebaut, die wohl eine der größten der Welt ist. Die Leute gehen dort auf einer Seite hinein, drehen eine Runde und gehen auf der anderen Seite wieder raus. Man kann sich in der Kirche nicht aufhalten, weil alle Welt hinein will. Hier in Venezuela nehmen Ostern vielleicht 30000 oder 40000 Menschen an den Prozessionen teil. Einmal im Jahr. Dort passiert das jeden Sonntag.

Wir können diesen Leute nicht einfach verbieten, zur Messe zu gehen. Das haben wir in der Sowjetunion gesehen. Zu den Dingen, die mich in der Sowjetunion am meisten beeindruckt haben, gehört das Schwimmbad in Moskau, das sie in der Nähe des Kreml in einer alten Basilika eingerichtet hatten und das Platz für Tausende Menschen bot. Jetzt haben sie das Schwimmbad abgerissen, und erst Jelzin und nun Putin haben begonnen, diese Basilika wieder so aufzubauen, wie sie früher war. Was bedeutet das? Es bedeutet, daß auch in der Sowjetunion das religiöse Gefühl existiert hat, aber im Verborgenen. Das werden wir nicht mit Verfolgung und Verboten beseitigen können, sondern nur durch die ideologische Entwicklung des Bewußtseins, bis es die Menschen nicht mehr nötig haben, auf himmlischen Beistand zu hoffen.

Wer die Religion am meisten braucht, sind die Armen. Wer nicht weiß, ob er morgen etwas zu essen hat, bittet den Himmel um Hilfe. Die Reichen haben das nicht nötig, die brauchen zum Essen nicht an Gott zu denken, weil ihr Essen in der Küche steht. Deshalb geht die Religion von den Armen aus. Hugo Chávez ist religiös, denn er stammt aus einer armen Familie.

Aber er ist auch Bolivariano und Sozialist.

Wenn du mir sagst, eine Katze habe drei Pfoten, dann würde ich sagen: Nein, eine Katze hat vier Pfoten. Wenn dann aber hier eine dreibeinige Katze vorbeiläuft, müßte ich als Marxist sagen: Du hast recht, die Katze hat drei Pfoten. Ich habe immer geglaubt, daß es nicht möglich wäre, daß eine Person zugleich Christ, Bolivariano und Marxist ist. Aber Hugo Chávez ist diese Mischung, er ist diese Katze mit drei Pfoten.

Ein Bestandteil seiner Identität ist, wie er selbst öffentlich erklärt hat, daß er als Junge in dem Ort, in dem er aufgewachsen ist, einen Kommunisten kannte, José Esteban Ruiz Guevara. Dieser hat viel mit dem damals zwölf, 13, 14 Jahre jungen Chávez über Marxismus und Kommunismus gesprochen. Das hat bei ihm Neugier auf diese Dinge geweckt.

So wurde sein bolivarisches Denken durch Neugier auf den Marxismus begleitet, und das auf einer christlichen Grundlage, die er von seinen Eltern geerbt hat. In Venezuela habe ich vor Chávez nur einen einzigen solchen Fall kennengelernt, einen Professor der Zentraluniversität, Luis Cipriano Rodríguez, der nie Kommunist, nie Mitglied der Partei war, aber immer ein Linker. Er hat sich in seinen Schriften immer als Christ, Bolivariano und Marxist bezeichnet, das aber nie in aktiver Form, sondern immer intellektuell. Hugo Chávez hat diese Ideen in die Tat umgesetzt.

Wie analysieren Sie den venezolanischen Prozeß heute?

Der venezolanische Prozeß überrascht, weil er aus einer Armee, den Streitkräften, entstanden ist. Es ist sehr schwierig, daß eine Bewegung in einem solchen Umfeld entsteht. Zum einen, weil die venezolanischen Streitkräfte von den Vereinigten Staaten aufgebaut worden sind. Die Armee unseres Landes in ihrer heutigen Form ist mit dem Erdöl entstanden.

Als der Unabhängigkeitskrieg zu Ende ging, mußte Bolívar der Befreiungsarmee freigeben, weil er kein Geld hatte, um die Soldaten und Offiziere zu bezahlen. Er schickte seine Soldaten auf ihre Haciendas, damit sie dort das Land bestellen sollten. Seinen Militärführern gab er die Möglichkeit, zu den neuen Herren dieser Ländereien, also Großgrundbesitzer, zu werden. Das war die Lage, als das Erdöl entdeckt wurde.

Um das Erdöl ausbeuten zu können, brauchten sie aber Frieden im Land. Nach der Unabhängigkeit und dem Krieg gegen Spanien hatte es ständig Konflikte gegeben. Immer wieder gab es Bürgerkriege zwischen den verschiedenen Seiten, die einen nannten sich Konservative, die anderen Liberale. Unter solchen Bedingungen war es nicht möglich, das Erdöl zu fördern, und so forderten die Erdölkonzerne, zunächst vor allem die britisch-niederländische Shell, aber auch die Standard Oil aus den USA, einen garantierten Frieden. Das aber war ohne die Armee nicht möglich. Der Diktator Juan Vicente Gómez entschied deshalb auf Druck Englands und der USA, eine Armee aufzubauen, die in der Lage war, den inneren Frieden zu garantieren.

Wie konnte in einer solchen Armee die von Hugo Chávez geführte Gruppe entstehen, die am 4. Februar 1992 den Aufstand gegen die Regierung von Staatschef Carlos André Pérez wagte?

Einige Analysten sagen, daß dies eine Klassenfrage ist. Im Vergleich mit Chile oder Argentinien, wo die Offizierskaste aus der herrschenden Gesellschaftsschicht, aus der Bourgeoisie, stammt, gehen in Venezuela sehr arme Leute zum Militär. Die Söhne der Reichen in Venezuela werden von ihren Eltern zum Studium in die USA geschickt. Dort werden sie zu Pitiyanquis (halben Yankees) und hören auf, Venezolaner zu sein. Sie heiraten eine Nord­amerikanerin, bleiben im Norden wohnen, und wenn sie hierher kommen, verziehen sie das Gesicht. Sie bleiben lieber in New York oder Miami. Und ihre Kinder haben schon nichts mehr mit Venezuela zu tun. So sind es die Armen, die in die Armee gehen.

Aber das reicht nicht aus. Ich würde zu dieser Analyse noch den bolivarischen Faktor hinzufügen. Venezuela war das einzige Land des Kontinents, in dem der Unabhängigkeitskrieg einen revolutionären Charakter hatte. Es ging nicht nur darum, die Spanier rauszuwerfen. In allen anderen Ländern – Argentinien, Chile, Kolumbien – waren es die Kinder der Spanier, die ihre Eltern aus dem Land warfen und die Unabhängigkeit ausriefen. Ideologisch waren diese aufgrund der Französischen Revolution republikanisch, als Gegenmodell zur Monarchie. Die Eltern waren Monarchisten, die Söhne Republikaner.

In Venezuela nahm der Kampf um die Unabhängigkeit aber einen tiefgreifenderen Charakter an. Die Familien der herrschenden Klasse verließen Venezuela in Richtung Santo Domingo, Kuba, Puerto Rico. Die Zahl der Toten war so hoch, daß Venezuela am Ende des Krieges mehr als ein Drittel seiner Bevölkerung verloren hatte. Um 1800, als euer Landsmann Alexander von Humboldt hier war – der übrigens von Cumaná, meiner Heimatstadt, aus, Venezuela bereiste –, gab es hier schätzungsweise zwischen 800000 und einer Million Einwohner. Als der Krieg endete, waren es nicht mehr als 600000. Die Menschen, die geblieben waren, waren die Angehörigen der unteren Gesellschaftsschichten, die Armen: Schwarze, Indígenas und arme Kreolen. Diese übernahmen die Macht und verdrängtem die bislang herrschende Klasse. Das gab es in keinem anderen Teil Südamerikas, nur hier in Venezuela, und das hat Folgen bis heute.

Welche?

Simón Bolívar wollte, daß sich die hispanischen Völker Amerikas, also die Völker der früheren spanischen Kolonien, zu einem einzigen Land vereinigen sollten. Das hat Bolívar bereits 1815 in einem Dokument vorgeschlagen, das als »Brief aus Jamaika« bekannt geworden ist, und diese Idee hat er bis zu seinem Tod 15 Jahre später verteidigt. Er scheiterte an diesem Vorhaben, weil die USA und vor allem England die Gefahr erkannten, die das für sie dargestellt hätte. Wenn dieser große Staat gebildet worden wäre, wäre er sehr viel mächtiger geworden als der, der sich im Norden herausbildete. Die 13 Kolo­nien, die sich 1776 von der englischen Krone unabhängig machten, verfolgten zwar eine Expansionspolitik, trotzdem waren sie Anfang des 19. Jahrhunderts noch ein kleiner Faktor. Damals war der Imperialismus noch nicht entstanden, wir sprechen von territorialem Expansionismus in Richtung Süden. Bolívar erkannte das und stellte dem seine Konzeption entgegen. Er bewertete, daß das, was sich im Norden herausbildete, etwas anderes war als das, was sich von Mexiko bis in den Süden erstreckte. Bolívar wollte das spanischsprachige Volk vereinen.

Ende des 19. Jahrhunderts mischten sich die Vereinigten Staaten jedoch in Kuba, in Puerto Rico und in Panama ein. Die Karibik wurde zum Mare Nostrum der USA. Ganz Zentralamerika fiel unter ihren Einfluß. Diese Konfrontation, die im 19. Jahrhundert begann, wurde im 20. Jahrhundert besonders stark. Das Ideal Bolívars wurde besiegt, versteckt. Doch auf einem Weg, den ich bislang nicht kenne, hat eine Gruppe von jungen Militärs, Studenten der Militärakademie, begonnen, Bolívar zu lesen. Sie sahen Bolívar nicht als irgend etwas Historisches, sondern als eine intellektuelle Führungspersönlichkeit für die Zukunft.

Diese Gruppe wuchs innerhalb der Armee und trat schließlich mit dem Putschversuch, der 1992 scheiterte, an das Licht der Öffentlichkeit. Kurze Zeit später, als er 1994 aus dem Gefängnis kam, gab Hugo Chávez zum 1. Mai eine Erklärung für Tribuna Popular, die Zeitung der Kommunistischen Partei Venezuelas, ab, die wir auf der ersten Seite veröffentlichten. Die jungen Militärs dieser Gruppe mit Bolívar im Kopf stehen heute an der Spitze dieser Bewegung. Ohne den ideologischen Kern des der Monroe-Doktrin der USA entgegengesetzten bolivarischen Gedankens hätte Hugo Chávez nichts getan.

Sie haben aber auch öffentlich Kritik an Hugo Chávez geübt und dafür Ärger bekommen.

Ich habe in einem Fernsehinterview gesagt, daß die Beschäftigungslage in Venezuela sehr ernst ist, und daß es keine wissenschaftliche Lösung ist, zu Begriffen wie »informeller Ökonomie« zu greifen. Informelle Ökonomie meint die Straßenhändler, die Losverkäufer und die Prostituierten, die man ja jetzt Sexarbeiterinnen nennt. Der Begriff meint auch die Drogenverkäufer, denn auch diese arbeiten ja, wenn sie Drogen verkaufen, ebenso wie die Taschendiebe und Verbrecher. Auch Verbrechen ist eine Arbeit. Wenn es darum geht, Brot nach Hause zu bringen, und man dazu keinen Hammer oder ein anderes Werkzeug in die Hand nehmen kann, greifen manche eben zum Revolver, um das Essen zu bekommen, auf das zu Hause Frau und Kinder warten. Diese Arbeiter habe ich im Fernsehen mit Karl Marx als das Lumpenproletariat bezeichnet, als »Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft«.

Hugo Chávez hat das gar nicht gefallen, und er hat sich in einer Fernsehsendung beschwert, daß der Präsident der Kommunistischen Partei Venezuelas gesagt habe, die Straßenhändler seien Lumpen. Ich habe darauf reagiert, ohne ihn namentlich zu nennen, indem ich erklärt habe, wie Marx und Engels das Lumpenproletariat definiert haben, und was sie im Kommunistischen Manifest gesagt haben: Daß die Angehörigen des Lumpenproletariats zwar zeitweise in die Revolution »hineingeschleudert« werden können, sich aber aufgrund ihrer Lage zu reaktionären Umtrieben, für die Konterrevolution, einkaufen lassen würden.

Vielen Genossen paßt es nicht, wenn ich solche Sachen sage, aber das geht mir schon mein ganzes Leben in dieser Bewegung so. Ich habe in meinen Äußerungen nie darauf Rücksicht genommen, ob ich damit hier oder dort anecken könnte. Ich sage meine Meinung über Hugo Chávez und wen auch immer. Mein Vater, der absolut kein Kommunist war, sondern Händler – er hat viele Geschäfte mit Hamburg gemacht, hat Kaffee dorthin exportiert und viele Dinge aus Deutschland importiert –, hat uns von Anfang an beigebracht, die Dinge offen auszusprechen. Mit meinen Kindern habe ich es genauso gehalten.

Erschienen am 25. Mai 2013 in der Tageszeitung junge Welt