Honduras neu gründen

Mit einem landesweiten Streik und großen Demonstrationen erinnert die Widerstandsbewegung in Honduras heute an den Staatsstreich vor einem Jahr. Am 28.Juni 2009 waren vermummte Soldaten in die Residenz des demokratisch gewählten Präsidenten Manuel Zelaya eingedrungen und hatten ihn in ein Flugzeug verschleppt, das ihn nach Costa Rica brachte. Der honduranische Kongreß »legalisierte« den Putsch, indem er nur Stunden nach dem Überfall Parlamentspräsident Roberto Micheletti zum neuen Staatschef wählte – bei einer Sitzung, zu der linke und liberale Abgeordnete, deren Unterstützung für die Politik Zelayas bekannt war, gar nicht erst eingeladen wurden. Ein Jahr danach will die unmittelbar nach dem Staatsstreich gebildete Nationale Front des Volkswiderstandes (FNRP), ein Bündnis aus Gewerkschaften, feministischen und linken Organisationen sowie Menschenrechtsgruppen, die »Geburt der wirklichen Volksdemokratie« feiern. Die honduranische Oppositionsbewegung habe den Weg zu einer Neugründung des Staates und zum Aufbau einer gerechten Zukunft eröffnet, heißt es in einer Erklärung des Bündnisses.

Auslöser für den Putsch war das Bestreben der rechtmäßigen Regierung und einer breiten Basisbewegung gewesen, durch die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung die noch aus der Zeit der Militärdiktaturen stammenden Grundlagen des Staates zu verändern. Dazu sollte heute vor einem Jahr eine nicht bindende Volksbefragung durchgeführt werden, ob die Honduraner parallel zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im November auch in einer »vierten Urne« über die Einbestellung der Constituyente abstimmen wollten. Durch den Staatsstreich nur wenige Stunden vor Beginn der Abstimmungen wurde diese verhindert. Während vor allem in Lateinamerika der Umsturz sofort umfassend verurteilt und die Mitgliedschaft des Landes in internationalen Zusammenschlüssen wie der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) suspendiert wurde, fanden sich unter anderem in Deutschland offene Unterstützer für die Aufrührer. Besonders die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung verteidigte den Putsch vorbehaltlos, und die Liberale Internationale wählte Micheletti sogar zu einem ihrer Vizepräsidenten.

Bis heute hat Honduras nicht zur Normalität zurückgefunden. Die Lehrergewerkschaften, die schon kurz nach dem Staatsstreich eine der Säulen der Widerstandsbewegung waren, traten in der vergangenen Woche wieder in den Streik, weil das Regime jeden Dialog über Lohnerhöhungen verweigert. Todesschwadronen machen Jagd auf Aktivisten der Opposition und kritische Medienleute. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation CEJIL fielen seit dem Putsch acht Journalisten Mordanschlägen zum Opfer. Auch der Gewerkschafter Jairo Sánchez, der nach dem Putsch nach Spanien flüchten mußte, bestätigt die anhaltende Repression. Gegenüber der spanischen Tageszeitung 20 minutos sagte er, die meisten Morde an Putschgegnern habe es nach der Amtsübernahme durch Porfirio Lobo Ende Januar gegeben. »Sie ermorden, wen sie wollen, und mehr als 90 Prozent der Medien werden von ihnen kontrolliert, nicht nur, um die Verbrechen zu verschweigen, sondern auch, um Angst und Schrecken zu verbreiten.«

Erschienen am 28. Juni 2010 in der Tageszeitung junge Welt und am 29. Juni 2010 in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek