Herbst des Widerstands

Am 27. Oktober soll in Brüssel bei einem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union und Kanadas der Freihandelsvertrag CETA unterzeichnet werden. Anschließend soll das Abkommen »vorläufig« in Kraft gesetzt werden, um nicht die Zustimmung der nationalen Parlamente abwarten zu müssen. Doch der EU-Bürokratie und der kanadischen Regierung weht immer stärkerer Wind ins Gesicht.

Am Sonnabend demonstrierten in mehreren Ländern Europas erneut Zehntausende Menschen gegen CETA und TTIP, das mit den USA in Geheimverhandlungen ausgehandelte Freihandelsabkommen. Anlass für die Massenproteste war der am heutigen Montag begangene Internationale Tag für die Beseitigung der Armut. In 20 Städten Spaniens fanden Kundgebungen und Aktionen unter dem Motto »Herbst des Widerstands« statt, zu denen alle großen Gewerkschaftsdachverbände, linke Parteien und insgesamt mehr als 1.300 Verbände aufgerufen hatten. Die größte Aktion fand in der Hauptstadt Madrid statt, wo rund 20.000 Teilnehmer gezählt wurden. In Barcelona vereinten sich Tausende zu einer Menschenkette von der örtlichen EU-Vertretung zum kanadischen Konsulat. In Paris protestierten nach Veranstalterangaben etwa 5.000 Menschen, rund 1.000 Demonstranten meldete die Nachrichtenagentur AFP aus Warschau. Bereits am Freitag hatten Aktivisten in München zusammen mit 85.000 Unterschriften den Zulassungsantrag für ein Volksbegehren gegen CETA eingereicht. Sie wollen die bayerische Landesregierung zwingen, im Bundesrat das Abkommen abzulehnen.

Einen vergleichbaren Beschluss hatte am Freitag das Regionalparlament der Wallonie in Belgien gefasst. Mit den Stimmen von Sozial- und Christdemokraten, Grünen und Kommunisten entzog die Kammer der belgischen Regierung das Mandat für eine Unterzeichnung des Abkommens. Das könnte nun eine Staatskrise auslösen: Die liberalen Politiker Karel De Gucht und Marc Van Peel forderten das Kabinett von Ministerpräsident Charles Michel auf, das Veto der französischsprachigen Gemeinschaft zu ignorieren, CETA zuzustimmen – und es auf eine juristische Auseinandersetzung vor dem Verfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof ankommen zu lassen, wie der Belgische Rundfunk berichtete.

In Kanada wehren sich unter anderem die im Parlament vertretenen Grünen sowie der starke Sozialverband Council of Canadians gegen CETA. Sie warnen davor, die Fehler bei der Verabschiedung des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA zu wiederholen. Durch die darin etablierten Schiedsgerichte sei Kanada »zu dem am meisten verklagten Land der entwickelten Welt geworden«, so der Council.

Der »genetische Code von TTIP, CETA und NAFTA« sei »identisch«, warnten auch drei Europaabgeordnete in einem am Freitag abend von Zeit online veröffentlichten Artikel. Fabio de Masi von der deutschen Linkspartei, Eva Joly von den französischen Grünen sowie ihr sozialdemokratischer Landsmann Emmanuel Maurel erinnerten daran, dass das nordamerikanische Abkommen »zur Vernichtung von Arbeitsplätzen in der verarbeitenden Industrie, zum Druck auf Löhne und zu einer Schwächung von Umwelt- und Verbraucherschutz« geführt habe. »Wir sehen nicht ein, warum der Handel zwischen der EU und Nordamerika, mit kaum noch existierenden Zöllen und einem Handelsvolumen von über 680 Mil­liarden Euro, die Entmachtung von Parlamenten und Demokratie erzwingt.«

Erschienen am 17. Oktober 2016 in der Tageszeitung junge Welt