Hausbesetzung im Luxus

Zunächst ließen sich die Landarbeiter Zeit und marschierten gemächlich unter der heißen Sonne Südspaniens die Landstraße entlang. 300 Teilnehmer zählte der von der Andalusischen Arbeitergewerkschaft (SAT) organisierte Protestmarsch »Andalusien auf den Füßen« bei seiner zweiten Etappe, die am Dienstag in Hornachuelos startete und eigentlich am gestrigen Mittwoch in Córdoba ankommen sollte. Doch schon am Dienstag mittag war klar, daß der Zeitplan nicht eingehalten werden würde. Völlig überraschend für die sie begleitenden Polizisten spurteten die Demonstranten plötzlich los in ein kleines Wäldchen, hinter dem sich das weitläufige Gelände des Palastes von Moratalla am Ortsausgang von Hornachuelos befindet. Neben dem riesigen und natürlich verschlossenen Tor des Anwesens fanden sie eine kleine offene Pforte. Wenige Augenblicke später befand sich etwa die Hälfte der Demonstranten auf dem Grundstück, das dem Grafen von Segorbe und »ihrer kaiserlichen und königlichen Hoheit« María de la Gloria de Orleans-Braganza, einer Kusine des spanischen Königs Juan Carlos, gehört. Die überrumpelten Polizisten versuchten hektisch, die Zugänge abzuriegeln. Die »Überraschung«, die die SAT angekündigt hatte, war gelungen.

Seit dem 16. August führen die Gewerkschafter ihren in mehrere Etappen aufgeteilten Protestmarsch durch, der ganz Andalusien durchqueren soll. Damit sollen die Proteste auf dem Land und in den Städten der Region zusammengeführt werden, erklärte Juan Manuel Sánchez Gordillo. Als Bürgermeister der seit Jahrzehnten kommunistisch regierten Ortschaft Marinaleda ist er der wohl bekannteste Vertreter der SAT und sitzt auch für die Vereinigte Linke im andalusischen Regionalparlament. Gemeinsam mit dem Generalsekretär der Gewerkschaft, Diego Cañamero, setzt er gerne auf spektakuläre Aktionen. Über die Grenzen Spaniens hinaus erregte die Enteignungsaktion der SAT in zwei andalusischen Supermärkten Aufmerksamkeit. Dort war es den Gewerkschaftern gelungen, mehrere Dutzend Einkaufswagen voller Grundnahrungsmittel herauszuholen, um sie anschließend an arme Familien zu verteilen. »Das sichert meinen Kindern für eine Woche das Essen«, sagte dazu eine obdachlose Mutter, die mit anderen Betroffenen in einem abbruchreifen Haus lebt, dem Fernsehsender Tele Cinco. Auch Arbeitsvermittlungsagenturen und Bankfilialen wurden von den Aktivisten schon okkupiert.

Vor allem ist die SAT jedoch für Landbesetzungen bekannt. Diese sind keineswegs symbolisch, sondern stellen tatsächlich die Eigentumsfrage. In Somonte etwa haben Landarbeiter eine Finca seit April okkupiert und bauen dort als Kooperative Gemüse an, das sie auf naheliegenden Märkten verkaufen. Die Besetzung eines dem spanischen Verteidigungsministerium gehörenden Grundstücks in Las Turquillas wurde hingegen von der Guardia Civil beendet – doch die Landarbeiter haben angekündigt, in Kürze dorthin zurückkehren zu wollen.

Die Besetzung des Palastes von Moratalla ist hingegen vor allem symbolisch. Der Adel sei dafür verantwortlich, daß Andalusien im Vergleich zu anderen Regionen Spaniens rückständig geblieben sei. Zudem mißbrauchten die Adligen ihre Ländereien für Vergnügungen und als Jagdreviere, statt sie der Landwirtschaft zur Verfügung zu stellen und damit Arbeitsplätze zu schaffen. Gordillo rief seine Mitstreiter auf, nichts anzufassen, »denn das ist nicht unser Eigentum«. Lediglich die Schwimmbecken wurden in Beschlag genommen, die Besetzer hüpften reihenweise in das kühlende Naß. »Dies ist eine von der Hitze erzwungene Enteignung«, kommentierte er lächelnd. Ansonsten machten es sich die Gewerkschafter auf den grünen Wiesen bequem und verspeisten die mitgebrachten Mahlzeiten. »Vielleicht werden wir morgen weiterziehen«, ließ Cañamero die Dauer der Besetzung offen, während Gordillo ankündigte, das Gelände erst zu verlassen, wenn Anzeige erstattet worden sei und ein richterlicher Räumungsbefehl vorläge. Beides wird es jedoch offenbar nicht geben: Die Eigentümer haben angekündigt, keinen Strafantrag stellen zu wollen. Die Anwesenheit der Gewerkschafter störe sie nicht, solange sie nichts kaputt machen, sagte der Direktor des Geländes, Francisco José Mulero, der Nachrichtenagentur EFE. Die Besetzer könnten sich zudem gerne von den Orangen bedienen, die reichlich an den zahlreichen Bäumen hängen.

Der Palast wird nicht von den adligen Herrschaften genutzt, sondern wurde zu einem Fünf-Sterne-Luxushotel umgebaut, nachdem der Graf, Ignacio Medina, 80 Prozent der Anteile an seiner Immobilienkette »Casas y Palacios de España« an die katalanische Investmentgruppe Corbis verkauft hatte. Noch ist die Nobelherberge nicht geöffnet, kann aber für Hochzeiten und Empfänge gemietet werden. Die SAT kritisiert jedoch, daß die mit der Umgestaltung der Anlage beauftragten Unternehmen die Arbeiter nicht bezahlt und deren Verträge verletzt hätten sowie Immigranten ausgebeutet zu haben.

Erschienen am 23. August 2012 in der Tageszeitung junge Welt