junge Welt, 14.01.2010

Haiti in Trümmern

junge Welt, 14.01.2010Ein verheerendes Erdbeben der Stärke 7,0 hat am Dienstag um 17 Uhr Ortszeit den Karibikstaat Haiti verwüstet. Das Epizentrum des Bebens lag nur wenige Kilometer von der Hauptstadt Port-au-Prince entfernt. Helfer befürchten, daß die Zahl der Toten in die Tausende gehen könnte. Auch stabile Gebäude wie der Präsidentenpalast und die Kathedrale stürzten ein; besonders schwer traf die Katastrophe jedoch die unzähligen Hütten in den Elendsvierteln.

Nach Schätzungen des Roten Kreuzes sind rund drei Millionen Menschen von der Naturkatastrophe betroffen, etwa ein Drittel der in Haiti lebenden Menschen. Der Landesdirektor der Hilfsorganisation »World Vision« in Haiti, Frank Williams, sagte: »Öffentliche Gebäude und Privathäuser sind zusammengefallen, Dächer und Hauswände sind auf die Straßen gestürzt«. Viele Menschen in Port-au-Prince seien schreiend auf die Straße gelaufen. »Es fühlte sich an, als ob ein großer Lastwagen durch die Hauswand gekracht wäre. Dann hat es etwa 35 Sekunden lang gewackelt.«

Das Unglück traf das ärmste Land des Kontinents. Mehr als die Hälfte der Haitianer sind Analphabeten, acht von zehn Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze und müssen mit weniger als zwei Dollar pro Tag zurechtkommen, jeder zweite hat sogar nur einen Dollar zur Verfügung.

Das Land war in den vergangenen Jahrhunderten fast permanent Spielball ausländischer Mächte, zunächst der spanischen, dann der französischen Kolonialmacht. Von 1915 bis 1934 war Haiti von den USA besetzt, zwischen 1957 und 1986 beherrschte der Duvalier-Clan das schon damals ausgeplünderte Land. Auch danach herrschte keine Stabilität, 1987, 1991 und 2004 putschten von den USA und Frankreich unterstützte Militärs. Seither sind in Haiti Besatzungstruppen mit UN-Mandat stationiert, die bei der Bevölkerung jedoch als Unterdrücker verhaßt sind.

Nur wenige Stunden nach dem Beben landete eine Maschine aus Venezuela mit Hilfsgütern und Rettungsmannschaften in Haiti. Die rund 50 Ärzte, Ingenieure und Feuerwehrleute gehören der 2005 von Venezuelas Präsident Hugo Chávez gebildeten Humanitären Einsatzgruppe Simón Bolívar an und sind speziell ausgebildet, um Menschen aus schwierigen Situationen zu retten. Nicaraguas Präsident Daniel Ortega entsandte Techniker, die die nach dem Beben zusammengebrochene Stromversorgung wiederherstellen sollen. Auch Frankreich, Mexiko, Brasilien und weitere Länder kündigten Hilfssendungen an. Die deutsche Bundesregierung stellte 1,5 Millionen Euro als Soforthilfe bereit. Die USA boten »sowohl zivile als auch militärische« Hilfe an, warteten jedoch Heidi Lenzini vom South Command der US-Streitkräfte in Miami zufolge noch auf ein »offizielles Ersuchen der Regierung Haitis«.

In Kuba wurden nach dem Beben, das auch im Südosten der Insel zu spüren war, die Zivilschutzbehörden alarmiert und der Tsunamiwarndienst ausgelöst. 30000 Menschen wurden vorsichtshalber in Sicherheit gebracht. Zwar wurde kein Anstieg des Wasserspiegels festgestellt, die Behörden blieben aber wegen möglicher Nachbeben in Bereitschaft. In Haiti selbst sind bereits seit über zehn Jahren mehrere hundert kubanische Ärzte im Einsatz, um der notleidenden Bevölkerung zu helfen. In dieser Zeit betreuten die Ärzte von der benachbarten Insel einem Bericht von Radio Habana Cuba zufolge mehr als sechs Millionen Menschen und halfen bei über 110000 Geburten.

Erschienen am 14. Januar 2010 in der Tageszeitung junge Welt