Gute Nachricht

Wenn es darauf ankommt, rückt Venezuelas Linke zusammen. Trotz aller Querelen und trotz der auch im chavistischen Lager weitverbreiteten Unzufriedenheit mit der Arbeit der Regierung versammelten sich am Mittwoch Hunderttausende in Caracas und anderen Städten, um den bolivarischen Prozess gegen die rechte Opposition zu verteidigen. Durch ihre Präsenz versperrten sie den Regierungsgegnern den Weg in das Stadtzentrum und damit die Möglichkeit, den Präsidentenpalast anzugreifen.

Die Warnungen vor einem Putschversuch der Rechten ist kein Hirngespinst, auch wenn man sie nach unzähligen Wiederholungen kaum noch hören mag. Doch die Erinnerung ist noch wach: Im April 2002 wurde eine Großdemonstration der Opposition in unmittelbarer Nähe zum Regierungssitz ausgenutzt, um einen Putsch gegen Hugo Chávez anzuzetteln – der nach zwei Tagen unter dem Druck der Volksbewegung und der verfassungstreuen Teile des Militärs zusammenbrach. Im Februar 2014 eskalierte eine Kundgebung der Opposition im Stadtzentrum, Militante griffen die Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft, des staatlichen Fernsehens VTV und andere Einrichtungen an. Seither verweigern die Behörden den Rechten die Genehmigung für Demonstrationen im Regierungsviertel. Das Agieren der radikalen Oppositionellen auch am Mittwoch zeigt, dass diese Entscheidung nachvollziehbar ist.

Die gute Nachricht des Tages ist also: In Venezuela sind Hunderttausende auch heute noch bereit, gegen die Gefährdung der demokratischen Ordnung aufzustehen. Und bei Armee und Polizei gibt es bislang keine Anzeichen, dass sich dort relevante Kräfte für einen Staatsstreich hergeben könnten. Die Bilder von Gewalttätern, die Bibliotheken, Schulen, Behörden und Geschäfte angreifen, sorgen dafür, dass sich auch mit der Regierung Unzufriedene von einer solchen Opposition abwenden.

Dabei gibt es für Kritik an der Administration von Präsident Nicolás Maduro gute Gründe. Auch wenn man berücksichtigen muss, dass der Staatschef in den vier Jahren seiner Amtszeit pausenlos attackiert wurde und die Lage durch eine monatelange Dürre und den Preisverfall beim Erdöl erschwert wurde: Eine Strategie, die dem proklamierten Ziel einer bolivarischen oder gar sozialistischen Revolution entsprechen würde, ist nicht zu erkennen. Zu viele Nutznießer haben es sich in den warmen Sesseln des Staatsapparats bequem eingerichtet und gar kein Interesse (mehr) daran, die Gesellschaftsordnung umzuwälzen. Hugo Chávez konnte ihnen durch seine Autorität oft Feuer unter dem Hintern machen, auch wenn ihm die Zerstörung der bürgerlichen Staatsstrukturen nicht gelang. Maduro fehlt jedoch auch diese Durchsetzungskraft. Ein bisschen sozialdemokratische Reformpolitik reicht jedoch nicht, um Armut und soziale Ungerechtigkeit in Venezuela grundsätzlich zu überwinden. Die Rechnung dafür gibt es spätestens 2018. Dann sind Präsidentschaftswahlen.

Erschienen am 21. April 2017 in der Tageszeitung junge Welt