Grüner Höhenflug

Ein Außenseiter lehrt im kolumbianischen Präsidentschaftswahlkampf den bisherigen Favoriten das Fürchten. Der Kandidat der in dieser Form erst im vergangenen Herbst gegründeten Grünen Partei, Antanas Mockus, hat in den vergangenen Wochen in den Umfragen dramatisch aufgeholt. Mehrere Meinungsforschungsinstitute sehen Mockus mittlerweile vor dem bislang führenden Exverteidigungsminister Juan Manuel Santos, der für die Partei des derzeitigen Amtsinhabers Álvaro Uribe, »de la U«, antritt. So prognostizierte das Institut CNC am 7. Mai ein Ergebnis von 38 Prozent für Mockus gegenüber 34 Prozent für Santos. Auch wenn das Institut »Ipsos-Napoleón Franco« in einer anderen, am Sonntag veröffentlichten Prognose Santos den Gleichstand mit Mockus bescheinigt, sehen alle Institute den Grünen bei einer wahrscheinlichen Stichwahl mit deutlichem Abstand vor Santos.

Mockus’ Höhenflug geht offenbar vor allem zu Lasten des Linksbündnisses Demokratischer Alternativer Pol (PDA) und von dessen Kandidaten Gustavo Petro. Als die Wochenzeitung Semana in einer Umfrage danach forschte, für wen die Teilnehmer stimmen würden, wenn Mockus nicht angetreten wäre, schoß die Unterstützung für Petro auf 42 Prozent hoch. Bei der jetzigen Konstellation kann er jedoch nur mit etwa fünf Prozent der Stimmen rechnen.

Tatsächlich verbinden zahlreiche Wähler mit Mockus die Hoffnung auf einen grundsätzlichen Wandel. Der grüne Kandidat füttert diesen Glauben mit dem Versprechen, unter seiner Regierung werde sich das Verhältnis zum Nachbarland Venezuela verbessern. Im Gespräch mit Studierenden der Universität von Cúcuta unterstrich er, kein Land dürfe sich von den es umgebenden Staaten isolieren. Auch mit Venezuela verbinde Kolumbien eine gegenseitige Abhängigkeit, denn »wenn in Venezuela etwas passiert, das es stark in Mitleidenschaft zieht, wird dies sehr wahrscheinlich auch unser Land betreffen, und umgekehrt«.

Pol-Kandidat Gustavo Petro hingegen bezeichnet seinen grünen Konkurrenten als »neoliberal«. Und auch andere Vertreter des Linksbündnisses verweisen darauf, daß Mockus es bislang vermieden hat, die gegenwärtige Regierungspolitik offen zu kritisieren. So antwortete er bei einer Fernsehdiskussion auf die Frage des Moderators, was er über den Angriff der kolumbianischen Armee auf ein FARC-Lager in Ecuador gedacht habe, er könne sich nicht erinnern. Bei dem Überfall am 1. März 2008 war unter anderem der Vizechef der FARC-Guerilla, Raúl Reyes, ermordet worden. Die Region brachte diese Aggression an den Rand eines Krieges. Der als amtierender Verteidigungsminister politisch Verantwortliche für den damaligen Angriff war der jetzige Präsidentschaftskandidat Santos.

Auch für eine Beendigung des seit Jahrzehnten dauernden Bürgerkriegs zeigt das Wahlprogramm der Grünen und ihres Kandidaten keinen Weg auf. So weist Mockus auf seiner Wahlkampf-Homepage die Forderung nach einem Gefangenenaustausch zwischen FARC und Regierung zurück. »Es wäre eine humanitäre Geste, wenn der Entführer sein Handeln bereut und sein Opfer freiläßt. In diesem Fall werde ich alles tun, um diese Operationen zu ermöglichen. Aber man darf keine Zugeständnisse machen. Entführungen dürfen weder mit Geld noch mit der Freilassung von durch die Justiz verurteilten Personen bezahlt werden«, erteilt Mockus einer Freilassung inhaftierter Guerilleros eine Absage. Gegenüber Radio Caracol kündigte er außerdem an, die Militärausgaben nicht zu kürzen, »wenn die FARC nicht sofort die Waffen niederlegen«.

Die Antwort der Guerilla kam postwendend. In der vergangenen Woche veröffentlichte die alternative kolumbianische Nachrichtenagentur ANNCOL einen Artikel des FARC-Führungsmitglieds Pablo Catatumbo, in dem dieser allen führenden Kandidaten vorwirft, »den bewaffneten Konflikt und den schmutzigen Krieg verlängern« zu wollen. »Unter diesen Bedingungen bietet keiner der am meisten unterstützten Kandidaten eine wirkliche Lösung der nationalen Probleme. Wer auch immer schließlich zum Präsidenten gewählt werden wird, würde nur einen Wechsel in der Verwaltung und der Gruppe von Privilegierten, denen er nutzen will, bedeuten, aber keinen Regierungs- oder Kurswechsel. Letztlich sind sie alle Neoliberale, und neoliberal bedeutet: Feind des Volkes.«

Erschienen am 14. Mai 2010 in der Tageszeitung junge Welt