Grenzschließung ausgeweitet

Mit den Fahnen Kolumbiens und Venezuelas zeigte sich Nicolás Maduro am Freitag (Ortszeit) vor dem Regierungssitz Miraflores in Caracas seinen Anhängern. Zehntausende Menschen hatten sich dort versammelt, um den venezolanischen Staatschef im Kampf gegen das Eindringen von Paramilitärs aus dem Nachbarland zu unterstützen. »Wir verteidigen das Recht auf ein Leben in Frieden«, erklärte Parteisprecher Jorge Rodríguez. Dieses Recht hätten nicht nur die Venezolaner, sondern auch die in Venezuela lebenden Kolumbianer. Das sind nach Schätzungen mehr als fünf Millionen Menschen – bei einer Gesamteinwohnerzahl von rund 28 Millionen. Mehrere hunderttausend von ihnen waren in den vergangenen Jahrzehnten vor dem Bürgerkrieg oder vor politischer Verfolgung geflohen und hatten Asyl erhalten. Andere fanden in Venezuela Arbeit oder einen Partner. Viele Pendler arbeiteten auf der einen und wohnten auf der anderen Seite, etwa in San Antonio del Táchira auf der venezolanischen und Cúcuta auf der kolumbianischen Seite.

Spannungsfrei war das Neben- und Miteinander der beiden Länder nie. Immer wieder drohte der kolumbianische Bürgerkrieg auf Venezuela überzugreifen. Guerilleros und Soldaten überschritten im Gebirge immer wieder die kaum zu kontrollierende Demarkationslinie. Kriminelle Banden nutzten das Territorium für Schmuggel, Entführungen und Überfälle. Besonders spitzte sich die Lage in den vergangenen Jahren zu, als demobilisierte Paramilitärs aus Kolumbien ihre kriminelle Tätigkeit nach Venezuela verlegten. Dutzende Vertreter der Bauernbewegung wurden von solchen Auftragsmördern umgebracht, weil sie lokalen Großgrundbesitzern im Wege waren. Die mit dem Grenzschutz beauftragte Nationalgarde war nicht in der Lage, dem wirksam etwas entgegenzusetzen. Auch den völlig außer Kontrolle geratenen Schmuggel konnten die Sicherheitskräfte nicht eindämmen. Allein nach Cúcuta seien monatlich Waren im Wert von neun Milliarden US-Dollar verschoben worden, erklärte Venezuelas Parlamentspräsident Diosdado Cabello am vergangenen Donnerstag in seiner wöchentlichen Fernsehsendung.

Am 20. August schloss Venezuela die wichtigsten Grenzübergänge zwischen seinem Bundesstaat Táchira und Kolumbien und verhängte in einigen Bezirken den Ausnahmezustand. Am Freitag kündigte Maduro zudem eine Ausweitung der Schließung auf einen weiteren Abschnitt der Grenze an. Die neuen Kontrollen scheinen Wirkung zu zeigen. So meldete der Fernsehsender Globovisión, dass man bereits jetzt durch das Schließen der Schmuggelrouten täglich eine Million Liter Benzin »gespart« habe. Die Folgen sind auf der kolumbianischen Seite zu besichtigen. Wie die venezolanische Tageszeitung Correo del Orinoco schreibt, stehen die Menschen in Cúcuta inzwischen bis zu fünf Stunden lang nach Benzin an. Die Stadt verfüge nur über 17 reguläre Tankstellen, denn bisher sorgten Schwarzhändler für volle Tanks. Sie hätten den aus Venezuela eingeschmuggelten Treibstoff offen auf der Straße angeboten, ohne dass die Behörden dagegen vorgingen.

In Venezuela wurden seit der Grenzschließung rund zwei Dutzend Personen festgenommen, die Schmugglerbanden oder paramilitärischen Strukturen angehört haben sollen. Für mehr Aufregung sorgt in Bogotá jedoch die Abschiebung von kolumbianischen Staatsbürgern, die in Venezuela ohne gültigen Aufenthaltstitel angetroffen wurden. Nach Medienberichten hausen inzwischen mehrere tausend Menschen in eilig eingerichteten Auffanglagern. Staatschef Juan Manuel Santos besuchte bereits mehrfach persönlich die »aus Venezuela vertriebenen Landsleute« und garantierte ihnen finanzielle Hilfen, damit sie sich eine neue Existenz aufbauen können. Mit ähnlich großzügiger Hilfe können andere Vertriebene nicht rechnen. So hat Santos noch nicht die mehr als 250 Familien besucht, die nach Gefechten zwischen der Guerilla und der Armee Anfang Juni ihre Heimatdörfer an der Pazifikküste verlassen mussten und nun vom UNHCR betreut werden. Das UN-Flüchtlingshilfswerk kritisiert jedoch auch das Vorgehen Venezuelas. So seien unter den abgeschobenen Personen mindestens zwei gewesen, die in der Bolivarischen Republik als Flüchtlinge anerkannt worden seien und so unter besonderem Schutz gestanden hätten, so UNHCR-Vertreter Hans Hartmark im kolumbianischen Rundfunksender W Radio.

Erschienen am 1. September 2015 in der Tageszeitung junge Welt