junge Welt, 1. September 2015

Grenzen auf für Menschen, Grenzen zu für Waffen!

junge Welt, 1. September 2015Europa schottet sich ab. Mit Millionen Euro an Hilfsgeldern wurden die Grenzen um die spanischen Kolonien Ceuta und Melilla in Nordafrika nahezu unüberwindlich gemacht. Einreisevisa gibt es für Menschen, die Schutz vor Krieg, Verfolgung und Elend suchen, praktisch nicht. Auf dem Kontinent selbst werden die Mauern und Zäune nun auch zwischen den Mitgliedsstaaten der »freizügigen«, 2012 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten EU hochgezogen. Ungarn hat seine Stacheldrahtbarriere gegen Serbien fertiggestellt. An der französischen Küste soll mit Mauern, Zäunen und Hunden verhindert werden, dass Menschen nach Großbritannien übersetzen. Österreich verschärft die Grenzkontrollen.

Doch Europa kann sich nicht mehr gegen das Elend abschotten, das es selbst mitproduziert hat. Bundesinnenminister Thomas de Maizière geht von bis zu 800.000 Menschen aus, die in diesem Jahr in Deutschland Asyl beantragen werden. Das seien etwa viermal so viele wie im Vorjahr, so der CDU-Politiker am 19. August. Mehr als 300.000 Menschen hätten in diesem Jahr die gefährliche Flucht aus Nordafrika über das Mittelmeer gewagt, informierte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR am vergangenen Freitag. Damit liegt die Zahl bereits um 50 Prozent höher als im gesamten Vorjahr. Etwa 2.500 Menschen haben die Überfahrt nicht überlebt. Erst am Sonntag ertranken vor der libyschen Küste erneut mindestens 37 Menschen, teilte ein Sprecher der Hilfsorganisation Roter Halbmond mit.

Damit hat natürlich überhaupt nichts zu tun, dass der Umfang der von der Bundesregierung genehmigten Waffenexporte im ersten Halbjahr 2015 bereits den Wert des gesamten Vorjahres erreicht hat. Staatssekretär Rainer Baake teilte Anfang August auf Anfrage des Linkspartei-Abgeordneten Jan van Aken mit, dass die Bundesregierung in den ersten sechs Monaten Ausfuhren von insgesamt 6,35 Milliarden Euro zugestimmt habe – gegenüber 6,5 Milliarden Euro im gesamten Jahr 2014. Allein der Umfang von Lieferungen an den Folterstaat Saudi-Arabien nahm von 65 Millionen auf rund 177 Millionen Euro zu.

Anfang 2014 hatte es Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel noch zur »Schande« erklärt, dass Deutschland zu den größten Waffenexporteuren gehört: »Wenn man die Waffen in die falschen Regionen gibt, kann es zu einem Geschäft mit dem Tod werden.« Doch auch nach dem Jahrbuch 2015 des angesehenen internationalen Friedensforschungsinstituts SIPRI in Stockholm liegt Deutschland auf dem vierten Platz der größten Rüstungslieferanten der Welt – nach den USA, Russland und China.

Zu den Empfängern der Mordinstrumente »Made in Germany« gehört die Türkei. Eine am 5. August gestellte Anfrage der Linksfraktion, ob die Bundesregierung ausschließen könne, dass diese Waffen an die Bürgerkriegsparteien in Syrien weitergeleitet werden, wurde bisher nicht beantwortet. Dass deutsche Waffen auch von den Terrorbanden des »Islamischen Staats« eingesetzt werden, ist jedoch längst nachgewiesen.

Die Leidtragenden sind mehr als vier Millionen Syrerinnen und Syrer, die vor dem Krieg aus ihrer Heimat fliehen mussten. Die meisten haben in den Nachbarländern Schutz gesucht. So beherbergt der kleine Libanon bereits rund 1,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien. Die Kapazitäten sind mehr als erschöpft, internationale Hilfe fließt kaum. So versuchen immer mehr Menschen, nach Europa zu gelangen – dorthin, von wo der Krieg von Anfang an angeheizt wurde. Im Juli stammte nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl bereits ein Drittel der Flüchtlinge, die Deutschland erreichten, aus Syrien, weitere 22 Prozent aus Afghanistan, dem Irak, Eritrea und Somalia.

Doch willkommen sind die Menschen nicht. Nacht für Nacht brennen Notunterkünfte, werden Mordanschläge verübt. Die Empörung darüber richtet sich mit vollem Recht gegen Neonazis, Pegida und anderes »Pack«. Doch wenn sich sogar die normalerweise vor rassistischer Hetze triefende Bild mit dem Slogan »Refugees welcome« positioniert, sollte aufgemerkt werden. Denn gerichtet wird die Empörung auf »Schleuser«, gegen die mit allen Mitteln vorgegangen werden soll. Dabei wäre es ganz einfach, ihnen das Geschäft zu verderben: Öffnet legale Wege nach Europa! Bezahlt die Unterbringung der Flüchtlinge aus den Milliardengewinnen der Rüstungskonzerne! Und nicht zuletzt: Verbietet alle Rüstungsexporte!

Erschienen am 1. September 2015 in der Tageszeitung junge Welt