Globaler Streik

Wenn am Montag in New York zahlreiche Staats- und Regierungschefs zum UN-Klimagipfel zusammenkommen, werden sie die Bilder vor Augen haben: Mehrere Millionen Menschen sind am Freitag weltweit dem Aufruf zu einem Klimastreik gefolgt. In Asien, Afrika, Amerika, Australien, Ozeanien und Europa gingen Schüler, Studenten und Unterstützer auf die Straße, um stärkere Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel zu fordern. Mehr als 5.000 Protestveranstaltungen rund um den Globus waren angekündigt.

Auftakt in Australien

Die weltweit ersten Aktionen begannen aufgrund der unterschiedlichen Zeitzonen in der Pazifikregion. Auf den vom steigenden Meeresspiegel bedrohten Inseln Vanuatus, auf den Salomonen und Kiribati sangen Kinder: »Wir sinken nicht, wir kämpfen.« In Australien traten mehr als 300.000 Kinder, Eltern und Unterstützer in den Klimastreik und beteiligten sich in zahlreichen Städten an Demonstrationen. Wie der arabische Fernsehsender Al-Dschasira berichtete, hatte die konservative Regierung Australiens zuvor versucht, Maßnahmen gegen den Klimawandel als eine Entscheidung gegen Jobs und für »abstrakte CO2-Ziele« darzustellen. Gegenüber Journalisten forderte Vizepremierminister Michael McCormack in Melbourne die jungen Menschen auf, zur Schule zu gehen: »Diese Art von Kundgebungen sollte am Wochenende abgehalten werden, damit Geschäfte nicht gestört werden, Schulen nicht gestört werden, Universitäten nicht gestört werden.«

Auf den Philippinen, die besonders vom steigenden Meeresspiegel und immer stärker werdenden Wirbelstürmen bedroht sind, gingen Tausende Menschen auf die Straße. »Es gibt viele Menschen hier, die die Auswirkungen des Klimawandels schon spüren können, zum Beispiel in Form von Taifunen«, sagte die 23jährige Yanna Palo bei einer Demonstration in der Hauptstadt Manila Reportern der Nachrichtenagentur AFP. In Indonesiens Hauptstadt Jakarta forderten Studenten Maßnahmen gegen die auf den Inseln Borneo und Sumatra wütenden Waldbrände, die bereits zu ernsthaften Gesundheitsschäden der Bevölkerung in der Region geführt hätten. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace Indonesia forderte am Freitag über den Kurznachrichtendienst Twitter Staatspräsident Joko Widodo auf, sich stärker für erneuerbare Energien einzusetzen.

In Thailand stürmten 200 Demonstranten das Umweltministerium in Bangkok, ließen sich zu Boden fallen und stellten sich tot. »Das wird passieren, wenn wir den Klimawandel jetzt nicht stoppen«, zitierte Al-Dschasira den 21jährigen Streikorganisator Nanticha Ocharoenchai. Die wegen ihrer Kampagne gegen Plastiktüten in Einkaufspassagen als »Thailands Greta« bekannt gewordene Lilly Satidtanasarn, erst zwölf Jahre alt, sagte der Nachrichtenagentur AFP in Bangkok: »Wir sind die Zukunft, und wir verdienen Besseres.« Die Erwachsenen »reden nur darüber, aber sie tun nichts«, kritisierte sie. »Wir wollen keine Entschuldigungen.«

Auch in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi schlossen sich Kinder und junge Aktivisten dem Klimastreik an. »Der Klimawandel ist der Teufel, wir kennen ihn bereits! Es ist an der Zeit, etwas zu tun«, zitierte Greenpeace India Teilnehmer. »Die Eliten hier denken, dass sie sich alles kaufen können – auch saubere Luft –, und die Armen haben schon genügend Probleme, um sich auch noch um die Klimakrise zu kümmern«, erklärte laut dpa Bhavreen Kandhar, die Mutter zweier Schülerinnen. »Noch wollen es die meisten nicht wahrhaben.« Dabei leidet das Land schon jetzt unter den Auswirkungen des Klimawandels. Es gibt Hitzewellen, heftige Regen, Dürre und Wassermangel. In der Hauptstadt herrscht eine der schlimmsten Luftverschmutzungen der Welt, und wer es sich leisten kann, kauft sich Luftfilter für sein Zuhause.

»Coal kills« in Südafrika

Auch in Afrika haben sich Aktivisten am Freitag Gehör verschafft. Im südafrikanischen Johannesburg gingen mehrere hundert Demonstranten auf die Straßen. Wie die Deutsche Presseagentur berichtete, warnten sie auf Plakaten: »No future on a dead planet« (Keine Zukunft auf einem toten Planeten), »Unite, don’t ignite« (Vereint, zündelt nicht) oder »Coal kills« (Kohle tötet). Südafrika ist Kohleproduzent und setzt bei seiner Energiegewinnung vor allem auf fossile Brennstoffe. Auch in Nairobi protestierten am Freitag Hunderte Jugendliche gegen den von Kenias Regierung geplanten Neubau von Kohlekraftwerken. Wie der südafrikanische Rundfunk SABC meldete, forderten sie die Regierung auf, sich auf erneuerbare Energien zu konzentrieren, die »internationale Gemeinschaft« müsse Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreifen. In Uganda versammelten sich Hunderte Schulkinder am Stadtrand von Kampala, um von der Regierung mehr Engagement im Klimaschutz zu fordern, berichtete AFP.

Debatten in Europa

In Großbritannien, wo ebenfalls Tausende Menschen auf die Straße gingen, machte Fope Olaleye von der »National Union of Students« in einem über Twitter verbreiteten Videoclip auf eine weitere, politische Dimension des Klimawandels aufmerksam. Dieser sei auch eine »Frage des Rassismus«, so die Studentenvertreterin, denn am Ende seien »Schwarze, Indigene und Nichtweiße im globalen Süden am meisten betroffen«. Um die Krise zu bewältigen, »sollten wir den Menschen aus dem globalen Süden und ihren Antworten zu Klimagerechtigkeit und Klimawandel zuhören«.

Londons Bürgermeister Sadiq Khan twitterte am Freitag morgen, er sei solidarisch mit jenen, die am globalen Klimastreik teilnehmen. »Hier in London wurden auch die Angestellten im Rathaus ermutigt, den Streik zu beobachten, sich die Zeit zu nehmen, um der Welt die Botschaft zu übermitteln, dass London ehrgeizigere Klimaschutzmaßnahmen von den Regierungen fordert.« Dagegen sagte der britische Staatsminister für Wirtschaft und Energie Kwasi Kwarteng in einer Morgensendung der BBC, dass er die »Energie und Kreativität« der Schüler unterstütze. Die in der Schule verbrachte Zeit sei aber »unglaublich wichtig«. Er könne es deshalb nicht befürworten, dass Schüler an den Protesten teilnähmen. Im Gegensatz dazu meldete sich der Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, auf dem Weg zur Hauptdemonstration in der britischen Hauptstadt zu Wort, wo er als einer der Sprecher angekündigt war: »Junge Leute hier und auf der ganzen Welt machen es unmöglich, die Umwelt- und Klimakrise zu ignorieren!«

Hunderte Aktionen in Amerika

Nicht weniger als 800 Kundgebungen, Demonstrationen und andere Aktionen waren in den Vereinigten Staaten geplant, meldete die kubanische Nachrichtenagentur Prensa Latina. »Wir müssen den Klimawandel als das nehmen, was er ist: eine Notsituation«, sagte die 18jährige Audrey Maurine Xin, die in Boston zu den Organisatoren des Streiks gehörte, der Tageszeitung USA Today. In New York war (nach jW-Redaktionsschluss) eine Kundgebung geplant, an der auch Greta Thunberg teilnehmen sollte, die mit ihrem »Schulstreik für das Klima« im vergangenen Jahr die Bewegung initiiert hatte. In Lateinamerika waren Aktionen unter anderem in Peru, Puerto Rico, Kuba, Brasilien, Argentinien, Kolumbien und Chile geplant.

Verfasst gemeinsam mit Matthias István Köhler

Erschienen am 21. September 2019 in der Tageszeitung junge Welt