Gipfel mit Lücken

Rafael Correa wird fehlen, wenn am Wochenende im kolumbianischen Cartagena die Staats- und Regierungschefs der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zusammenkommen. Ecuadors Präsident hatte bereits Anfang April angekündigt, künftig an keinem »Amerika-Gipfel« mehr teilnehmen zu wollen, solange dort nicht die Entscheidungen getroffen würden, die Lateinamerika brauche.

Unmittelbarer Anlaß für die Absage Correas ist das Fehlen Kubas. Eine Einladung scheiterte am Veto Washingtons. Kolumbiens Staatschef Juan Manuel Santos reiste daraufhin Anfang März eigens nach Havanna, um Abbitte zu leisten und einen angedrohten Boykott des Gipfels durch die Mitgliedsstaaten der Bolivarischen Allianz für die Völker Unseres Amerikas (ALBA) abzuwenden. Bei Gesprächen mit dem kubanischen Präsidenten Raúl Castro, dessen venezolanischem Amtskollegen Hugo Chávez und dem nicaraguanischen Staatschef Daniel Ortega gelang es Santos dabei offenbar, deren Verzicht auf einen Boykott-aufruf zu erreichen. Correa, der sich innerhalb des antiimperialistischen Staatenbundes für eine harte Haltung eingesetzt hatte, befragte daraufhin bei einer Kundgebung zum Internationalen Frauentag am 8. März in Quito seine Anhänger, ob er nach Cartagena reisen solle. Ein vielstimmiges »Nein« war die Antwort.

Obwohl Venezuela an dem Gipfeltreffen teilnimmt, stellte sich dessen Außenminister Nicolás Maduro am Dienstag (Ortszeit) hinter die Entscheidung des Ecuadorianers. »Wir respektieren und teilen die von Correa verteidigte Haltung«, erklärte der Diplomat in Bogotá. Maduro leitet die offizielle Delegation seines Landes bei der Konferenz, da sich Staatschef Chávez noch zur ärztlichen Behandlung in Kuba aufhält. Dieser soll Regierungskreisen zufolge jedoch am Wochenende an den Beratungen der Staats- und Regierungschefs teilnehmen.

Gastgeber Santos rief dazu auf, das Thema Kuba »pragmatisch« zu behandeln. »Heute versteht man nicht, warum an Kuba ein anderer Maßstab angelegt wird, als an andere Länder«, sagte er am Montag in einem Fernseh-interview. »Die Mehrheit der Länder der Region will, daß Kuba voll in die Gemeinschaft amerikanischer Nationen eintritt.«

Dem kolumbianischen Staatschef geht es in erster Linie darum, zu verhindern, daß Kuba und die ALBA-Staaten die Agenda in Cartagena dominieren. »Das Gipfeltreffen fällt mit einer Veränderung unserer Außenpolitik zusammen, um Kolumbien sichtbarer zu machen«, erklärte Santos. Er wolle erreichen, daß sein Land bei internationalen Diskussionen mehr Gewicht bekomme. So sei es bereits gelungen, die Stimme Bogotás bei ökonomischen, politischen und Umweltthemen hörbarer zu machen, lobte Santos seine Regierung. »Kolumbien wird heute mit anderen Augen gesehen als noch vor einige Jahren.«

Tatsächlich ist es Santos seit seinem Amtsantritt im August 2010 gelungen, vor allem außenpolitisch die Beziehungen zu den Nachbarländern zu entspannen. Innenpolitisch versucht er den Eindruck zu erwecken, der jahrzehntelange Bürgerkrieg sei praktisch beendet. Dazu wurde am Montag erstmals ein offiziell proklamierter »Nationaler Tag der Erinnerung und der Solidarität mit den Opfern« begangen. Am gleichen Tag mußte der Präsident der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH), José de Jesús Orozco Henríquez, bei der Vorstellung des Jahresberichts seiner Organisation für 2011 jedoch erklären, daß Kolumbien weiter auf der »schwarzen Liste« der Länder bleibe, in denen massiv die Menschenrechte verletzt werden. Der Mexikaner verwies auf das Fortbestehen paramilitärischer Strukturen und die Entstehung neuer bewaffneter Gruppierungen. Im vergangenen Jahr habe es zudem weitere Fälle außergerichtlicher Hinrichtungen »vermutlich durch Angehörige der staatlichen Sicherheitskräfte« gegeben, die nur selten vor Gericht aufgeklärt wurden.

Entgegen früherer Zusagen verweigern die Behörden der von der früheren Senatorin Piedad Córdoba geführten Gruppe »Kolumbianerinnen und Kolumbianer für den Frieden« sowie ausländischen Vermittlern zudem einen Besuch bei inhaftierten Mitgliedern der FARC-Guerilla. Justizminister Juan Carlos Esguerra verstieg sich gar zu der Behauptung, »in Kolumbien gibt es keine politischen Gefangenen«. Tatsächlich wird deren Zahl von Menschenrechtsgruppen auf 7000 bis 15000 Menschen geschätzt.

Erschienen am 12. April 2012 in der Tageszeitung junge Welt