Getroffene Hunde

Die Inszenierung gerät ins Wanken: Nachdem sich über Monate der internationale Protest gegen die transatlantischen »Freihandelsabkommen« vor allem auf das mit den USA ausgehandelte TTIP konzentriert hatte, glaubte man in Brüssel, ­CETA, das entsprechende Abkommen mit Ottawa, zum Türöffner machen zu können. Kanada ist in Europa bei vielen populärer als die Vereinigten Staaten – vor allem, weil hierzulande kaum jemand die Politik in Ottawa genauer verfolgt. Holzfäller, Grizzlys und Ahornsirup sind eben sympathischere Klischees als Amokläufe, Kriegstreiberei und McDonald’s.

Es hat trotzdem nicht funktioniert. Die Initiativen, die sich europaweit (und auch in Kanada) unermüdlich gegen die Geheimverhandlungen der Bürokraten und deren Ergebnisse engagieren, haben rechtzeitig darauf hingewiesen, dass CETA nichts anderes ist als TTIP »light«. Schon deshalb, weil US-Konzerne europäische Staaten auch im Rahmen von CETA verklagen können, wenn sie nur über eine Niederlassung im Nachbarland verfügen.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel konnte zwar beim Konvent im September seine SPD-Genossen auf Linie bringen, aber schon die Bundesverfassungsrichter haben keinen Hehl daraus gemacht, dass sie sich die Verträge noch mal ganz genau anschauen wollen. Und nun auch noch das: Keine Zustimmung zum Vertrag beim Treffen der EU-Handelsminister in Luxemburg. Eigentlich hätte dort am gestrigen Dienstag der Weg für die CETA-Unterzeichnung in der kommenden Woche freigemacht werden sollen, doch die Wallonen standen im Weg.

Das Regionalparlament der französischsprachigen Gemeinschaft Belgiens hatte es in der vergangenen Woche gewagt, CETA abzulehnen – und damit dank der föderalen Staatsstruktur des Landes eine Zustimmung der Regierung verhindert. Getroffene Hunde bellen, und so kläffen nun Lobbyisten, EU-Bürokraten und ihre Sprachrohre in den meisten Funkhäusern und Redaktionsstuben die Wallonie an. Europaweit wachse »das Unverständnis, dass eine so kleine Region CETA zum Platzen bringen könnte«, heißt es etwa beim Belgischen Rundfunk. Dabei gibt es Vorbehalte offenbar auch aus Rumänien, Bulgarien und Slowenien.

Möglich, dass CETA trotzdem durchgesetzt wird und sich die EU mit irgendwelchen Winkelzügen über die fehlende demokratische Legitimation dieses Vertrags hinwegsetzt. Wahrscheinlich ist auch, dass anschließend – bzw. nach der US-Präsidentschaftswahl – das TTIP wieder aus der Versenkung geholt wird. Ziemlich sicher ist jedenfalls, dass das Votum der Wallonie den Vorwand für eine noch weitere Entdemokratisierung der EU bieten wird. Es wird nicht lange dauern, bis aus der EU-Kommission, der Bundesregierung, gerne auch aus der EZB, Rufe nach einer »effizienteren« Union laut werden. Weg mit dieser blöden Einstimmigkeit, weg mit den nationalen Besonderheiten, weg mit dem Mitspracherecht für Parlamente – und die kleinen Länder sollen sich sowieso zurückhalten, wenn die großen miteinander reden.

Erschienen am 19. Oktober 2016 in der Tageszeitung junge Welt