Gesteuert aus Madrid

In Katalonien wird am heutigen Donnerstag ein neues Regionalparlament gewählt. Eine normale Wahl ist es nicht – und das nicht nur, weil an einem ganz normalen Werktag zu den Urnen gerufen wird. Die Abstimmung war vom spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy angeordnet worden, nachdem Madrid unter Berufung auf den Verfassungsartikel 155 die Autonomie Kataloniens aufgehoben, die dortige Regierung abgesetzt und das Regionalparlament aufgelöst hatte. Hintergrund sind die Auseinandersetzungen um die Unabhängigkeitsbestrebungen in der Region – und entsprechend dominierte diese Frage auch die Kampagnen der Parteien.

Die rechtsliberalen Ciutadans (Bürger), die postfranquistische Volkspartei (PP) und die Sozialdemokraten der PSC hoffen auf eine Mehrheit, mit der sie den Verbleib Kataloniens im Königreich sichern können. Eine solches Ergebnis zeichnete sich jedoch in keiner Umfrage der vergangenen Wochen ab.

Im Lager der Unabhängigkeitsbefürworter beharrt die liberale Demokratische Partei (PDECat) darauf, dass der im belgischen Exil ausharrende Ministerpräsident Carles Puigdemont in seinem Amt bestätigt wird, um dadurch seine Absetzung durch Madrid rückgängig zu machen. Dagegen will die Republikanische Linke (ERC) ihren inhaftierten Vorsitzenden Oriol Junqueras zum neuen Regierungschef wählen, wenn sie stärkste Kraft werden sollte. Eine Mehrheit dürften beide jedoch nur mit der antikapitalistischen Kandidatur der Volkseinheit (CUP) erreichen können.

Angesichts der zugespitzten Lage befürchten viele Menschen eine Manipulation des Ergebnisses. Anträge, die Abstimmung international beobachten zu lassen, wurden von Madrid abgelehnt. Auch die traditionellen Nachwahlbefragungen wird es nicht geben. Wie die Tageszeitung Ara am Dienstag abend berichtete, verzichtet das Regionalfernsehen TV 3 auf die Prognose unmittelbar nach Schließung der Wahllokale, um die Kosten von 70.000 Euro dafür zu sparen. Die Ergebnisse verkünden werden so – weil die katalanischen Amtsinhaber abgesetzt wurden – Vertreter der spanischen Zentralregierung.

Vor diesem Hintergrund hat die Unabhängigkeitsbewegung eine Kontrolle der Wahllokale organisiert. Zudem wollen mindestens vier Europaabgeordnete auf eigene Initiative die Abstimmung beobachten.

Bereits im Vorfeld gab es auch Hinweise auf Probleme bei der Stimmabgabe der im Ausland gemeldeten Wahlberechtigten. Seit 2011 werden diese nicht mehr automatisch durch die Konsulate benachrichtigt, sondern müssen ihre Wahlunterlagen schriftlich beantragen. Das führt insbesondere in Ländern mit einem schwach ausgebauten Postsystem zu Problemen. So kursierten am Mittwoch Berichte, wonach im spanischen Generalkonsulat in Mexiko-Stadt noch keine einzige Stimme eingegangen sei – weil die Wähler ihre Unterlagen erst so spät erhalten hätten, dass sie ihr Votum nicht rechtzeitig zur Post geben konnten. Zwar hat die Wahlbehörde die ursprünglich am Dienstag ausgelaufene Frist zur Stimmabgabe bis Donnerstag verlängert, doch viele Menschen konnten ihr Wahlrecht vermutlich nicht wahrnehmen.

Die Initiative »Marea Granate«, in der sich in vielen Ländern Spanier zusammengeschlossen haben, kritisiert die bürokratischen Bestimmungen bereits seit Jahren als gezielte Wahlbehinderung. Dort vermutet man, dass es der spanischen Regierung nur recht ist, wenn zum Beispiel junge Menschen, die aufgrund fehlender Zukunftsperspektiven im Ausland Arbeit suchen mussten, nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können.

Anabel Jujol ist noch etwas anderes aufgefallen. Die in Essen geborene und lebende Tochter katalanischer Eltern konnte ebenso wie ihr Sohn problemlos beim Konsulat in Düsseldorf wählen. Gegenüber junge Welt merkte sie aber an, dass es doch merkwürdig sei, dass sie aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit in Katalonien abstimmen darf. Andere Menschen, die nach Katalonien eingewandert sind, können sich hingegen nicht beteiligen, obwohl sie schon seit Jahren oder Jahrzehnten dort leben. Sie selbst habe in der Bundesrepublik, obwohl hier geboren und aufgewachsen, nur das kommunale Wahlrecht. »Das ist doch absurd«, ärgert sich Jujol.

Erschienen am 21. Dezember 2017 in der Tageszeitung junge Welt