Gespräch mit Roger Mas: »Was uns eint, ist die Sprache«

[tds_info]Roger Mas, Jahrgang 1975, ist ein katalanischer Liedermacher[/tds_info]

Als ich mich darauf vorbereitet habe, mit Ihnen dieses Gespräch auf Katalanisch zu führen, habe ich überrascht festgestellt: Sie singen einen Text von Goethe auf Katalanisch …

Ich hatte Interesse, deutsche Lieder und Gedichte aus dem 19. Jahrhundert kennenzulernen, aber ich hatte keine Ahnung, wo ich anfangen sollte. Ich bat einen Freund, der Übersetzer ist, mir ein deutsches Stück zu empfehlen, und er hat mir ein Lied von Franz Schubert genannt, das der Bariton Dietrich Fischer-Dieskau gesungen hat. Es war Schuberts Vertonung von Goethes »Erlkönig«. Dadurch habe ich dieses Gedicht zufällig kennengelernt. Die Menschen in Katalonien haben es nicht gekannt. Das heißt, als ich begonnen habe, es live zu singen, kannten die Zuhörer das Ende der Geschichte nicht. Es gefiel den Leuten sehr gut, denn es hat eine Magie, die die Menschen gefangen­nimmt.

Zumal die Übersetzung sehr nah am Original ist.

Ja, wir haben versucht, dem deutschen Original treu zu bleiben. Aber um die Reime und die Struktur des Liedes beizubehalten, ist die Übersetzung an einigen Stellen recht frei. Der Text von Goethe ist in einem so einfachen Deutsch geschrieben, dass es ein Kind verstehen kann. Also musste auch die Übersetzung kindgerecht sein, und das war ziemlich schwierig.

Haben Sie noch mehr Gedichte übertragen?

Ich habe Gedichte von katalanischen Dichtern gesungen, und ich habe Lieder in anderen Sprachen gesungen, aber ohne sie zu übersetzen.

In welchen Sprachen?

Nehmen wir die CD »La Cobla de Sant Jordi«. Die Cobla ist das Orchester, das die Sardana, den katalanischen Volkstanz, spielt, es hat also eine sehr lokale Komponente. Auf diesem Album haben wir Lieder zusammengestellt, die in der Tradition der örtlichen Nachbarschaftslieder stehen – und diese sehr katalanische Kapelle spielt sie auf Italienisch, Französisch, Baskisch, Katalanisch und Kastilisch.

Sie sind lokal sehr verwurzelt. Zugleich sind Sie im Februar bei dem großen Konzert »Volem acollir« (»Wir wollen aufnehmen«) aufgetreten, mit dem dafür demonstriert wurde, den Flüchtlingen die Grenzen zu öffnen. Ist das nicht ein Widerspruch?

Sich mit anderen Menschen auszutauschen hilft zu verstehen, dass andere Menschen andere Realitäten kennen. Der Ort, aus dem wir stammen, prägt uns. Das ist der Ausgangspunkt, von dem aus wir anderen Menschen etwas geben können. Wenn jemand auf Reisen geht, lernt er andere Realitäten kennen. Es kommt zu einem Austausch mit den Menschen, die ihn aufnehmen, denn auch diese wollen von ihm etwas Neues erfahren.

Was mich immer faszinierte, war der Widerspruch, dass es in Katalonien einen sehr starken Nationalismus gibt, der aber mit einem ebenfalls sehr starken Internationalismus verbunden ist. In Deutschland dagegen ist Nationalismus nur reaktionär.

Die katalanische Nation möchte einfach frei sein. Es geht nicht darum, anderen die eigene Identität aufzuzwingen. Der Ursprung Kataloniens als Nation ist keine Ethnie. Was uns eint, ist die Sprache. Ich denke und hoffe, dass wir die Unabhängigkeit erreichen, um aufhören zu können, Nationalisten zu sein. Ab der ersten Minute der Unabhängigkeit werde ich aufhören, Nationalist zu sein.

Viele Menschen in Deutschland haben den Eindruck, dass die Katalanen Spanien verlassen wollen, um nicht mehr für die anderen spanischen Regionen bezahlen zu müssen.

Es geht nicht ums Bezahlen, es geht um ein Problem der Identität. Wir sind ein Volk, das zwar in einer Demokratie lebt, aber besetzt ist. Das ist eine Frage, die bis in das 19. Jahrhundert zurückreicht. In Italien oder Deutschland geschah die Einigung mehr oder weniger freiwillig, während den Menschen in Frankreich und Spanien eine Politik der monolithischen Identität nahezu aufgezungen wurde: Die einzige Nationalidentität in Spanien ist die kastilische. Es ist offensichtlich, dass der kastilische Nationalismus eisern ist, unflexibel und intolerant, vor allem aber unfähig, das Problem zu verstehen. Mein Problem ist nicht Spanien, sondern dass Katalonien auf einer Identität aufgebaut wurde, die nicht die meine ist.

Vor allem in der Spätphase der Franco-Diktatur haben die Katalanen ihre Identität mit Hilfe von Musik, Gedichten, Satire und Ironie verteidigt. Bekannt wurde zum Beispiel die Formation »La Trinca«, die mit Wortspielen die Zensur umging.

Der katalanische Philosoph Francesc Pujol hat einmal gesagt: »Wer lacht, sagt die ernstesten Dinge, die man sagen kann«. Das ist, glaube ich, etwas, das uns Katalanen mit der Mittelmeerregion verbindet und das wir exportieren können: die Ironie einzusetzen, ohne der Realität zu entfliehen. Das ist eine besondere Eigenschaft des Katalanischen: etwas ernsthaft sagen und zugleich annehmen, dass man eventuell nicht recht hat. Es wäre schön, wenn es Katalonien gelingen würde, diese Ironie in eine Weltsprache zu übersetzen.

Vor einigen Monaten wurde in Madrid eine junge Frau zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, weil sie über Twitter Witze über Luis Carrero Blanco machte, der 1973 von der baskischen ETA getötet worden war …

Dieser Herr ist vor über 40 Jahren gestorben. Es gibt auch auf Twitter ungezogene Leute. Ein Witz kann der erste Schritt zur Gewalt sein. Ich denke, man muss die Toten respektieren. Aber andererseits, wenn man jemanden wegen so etwas verurteilt, was kommt dann als nächstes? Die Toleranz und der Sinn für Humor scheinen in Spanien gerade zu verschwinden.

Erschienen am 25. September 2017 in der Tageszeitung junge Welt