Gespräch mit Ramón Ripoll Díaz: »US-Aggression gegen Kuba hat krankhafte Züge«

[tds_info]Ramón Ripoll Díaz ist Botschafter der Republik Kuba in der Bundesrepu­blik Deutschland[/tds_info]

Am 1. Mai werden wieder Hunderttausende in Kuba für die Revolution und den Sozialismus demonstrieren. Welche Bedeutung hat die Demonstration in diesem Jahr?

Richtig, am Mittwoch werden sich wieder vom frühen Morgen an die Plätze im ganzen Land füllen. Ich würde nicht von Hunderttausenden, sondern von Millionen kubanischen Bürgern jeden Alters sprechen, von ganz kleinen Kindern bis zu Leuten im fortgeschrittenen Alter, die in diesem Jahr, in dem wir den 60. Jahrestag des Sieges vom 1. Januar 1959 feiern, ihre Unterstützung für unsere Revolution und den Sozialismus demonstrieren werden. Das bedeutet auch, unsere Souveränität und Unabhängigkeit zu verteidigen, wie wir dies seit dem 10. Oktober 1868 tun, als der erste Krieg gegen den spanischen Kolonialismus begann.

Das Fest der Arbeiterklasse hat in diesem Jahr 2019 auch deshalb eine besondere Bedeutung, weil am 10. April unsere neue Verfassung in Kraft getreten ist, die den Weg eröffnet, die Aktualisierung unseres ökonomischen und Gesellschaftsmodells weiter voranzutreiben. Sie ist das Ergebnis eines Prozesses echter Volksbeteiligung, in dessen Verlauf die gesamte Bevölkerung Gelegenheit hatte, ihre Meinungen und Vorschläge zu allen Teilen des Verfassungsentwurfs einzubringen. Nun beginnt eine Phase intensiver gesetzgeberischer Arbeit, um die Vorgaben der neuen Verfassung in die Praxis umzusetzen. Das tun wir im Kontext der zunehmenden Aggressivität der gegenwärtigen US-Regierung. Diese richtet sich zwar in der einen oder anderen Weise gegen die gesamte internationale Gemeinschaft, aber im Falle Kubas hat sie krankhafte Züge angenommen. Vielleicht als Strafe dafür, dass das kubanische Volk am 1. Mai auf allen Straßen seine Unterstützung für die Revolution demonstrieren wird, haben unsere Gegner den 2. Mai als Datum gewählt, um neue antikubanische Regelungen in Kraft zu setzen.

Sie sprechen von der Aktivierung des sogenannten III. Kapitels des Helms-Burton-Gesetzes. Worum geht es dabei?

Das 1996 in Kraft getretene Helms-Burton-Gesetz, wie man es gewöhnlich nach den Namen der Abgeordneten bezeichnet, die es ursprünglich im US-Kongress eingebracht hatten – manche nennen es auch Bacardi-Gesetz, weil dieses Unternehmen große Anstrengungen zu seiner Verabschiedung unternommen hat –, heißt offiziell »Gesetz für die kubanische demokratische Freiheit und Solidarität« oder kurz Freiheitsgesetz. Schon der Name dieses juristischen Monstrums zeigt den exterritorialen Charakter der Einmischung. Der US-Kongress verfügt über keinerlei Befugnis, zu definieren, was Freiheit oder Demokratie in unserem Land zu sein haben. Diese Entscheidung ist allein die Sache des kubanischen Volkes.

Helms-Burton fasste die Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade der USA gegen Kuba, die offiziell 1962 per Erklärung des Präsidenten in Kraft gesetzt worden war, in Gesetzesform zusammen. Damit verlor der US-Präsident die Möglichkeit, die Blockade aufzuheben. Zudem wurden die Zwangsmaßnahmen gegen Kuba mit dieser Regelung verschärft, und die exterritoriale Wirkung der Blockade wurde wie nie zuvor ausgeweitet. Sie ist so zu einem noch größeren Hindernis für die Entwicklung der kubanischen Wirtschaft, insbesondere im Außenhandel und bei ausländischen Investitionen, geworden. Jeder Leser der jungen Welt, der sich dafür interessiert, kann das Gesetz problemlos im Internet in englischer Sprache finden (kurzlink.de/blockade-englisch).

Der Abschnitt III dieses Gesetzes mit dem Titel »Schutz der Eigentumsrechte von Staatsbürgern der Vereinigten Staaten« ist seit Inkrafttreten des Gesetzes 1996 von allen US-Präsidenten alle sechs Monate ausgesetzt worden. Nun aber haben die reaktionärsten Mitglieder der gegenwärtigen Administration beschlossen, den Abschnitt III ab dem 2. Mai in Kraft zu setzen. Wer in Kuba investiert, kann so künftig von jeder natürlichen oder juristischen Person vor US-Gerichten verklagt werden, wenn er mit nationalisiertem Eigentum handelt. Kein US-Gericht hat bisher allerdings festgestellt, was »Handeln« in diesem Zusammenhang bedeutet. So sind kein Bereich der Wirtschaft und keine Aktivität – Investition, Finanzierung, Handel – vor dem Gesetz sicher. Das ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Schon 1964 hat der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten im Fall »Sabatino gegen Banco Nacional« anerkannt, dass die in Kuba vorgenommenen Nationalisierungen mit internationalem Recht in Einklang stehen.

Wie reagiert die Europäische Union?

In einer gemeinsamen Stellungnahme haben die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Handelskommissarin Cecilia Malmström zusammen mit der kanadischen Außenministerin Chrystia Freeland die Entscheidung Washingtons kritisiert und gedroht, die rechtlichen Instrumente der Welthandelsorganisation einzuschalten. In Spanien erklärte Ministerpräsident Pedro Sánchez, dass seine Regierung diesen Schritt der US-Administration entschieden ablehne und man spanische Unternehmen gegen die Konsequenzen des Helms-Burton-Gesetzes unterstützen werde. Wir hoffen, dass die Regierungen der anderen Mitgliedsländer der EU ähnliche Positionen einnehmen.

Wie interpretieren Sie die Tatsache, dass Vertreter der US-Administration ausgerechnet den Jahrestag der Söldnerinvasion in der Schweinebucht 1961 gewählt haben, um die neuen Maßnahmen gegen Kuba zu verkünden?

Der Höhlenmensch John Bolton hat als Ort für seine jüngsten Ankündigungen am 17. April Miami und als Publikum die verbliebenen Mitglieder der alten, in Playa Girón zerschlagenen und besiegten »Brigade 2506« ausgewählt. Der Nationale Sicherheitsberater der USA sagte dabei, dass man zusammen beenden könne, was an jenen Stränden begann, und dass die Monroe-Doktrin lebe und sehr gut sei. Unser Außenminister hat daran erinnert, dass die Monroe-Doktrin historisch mit dem Einsatz von Gewalt gegen Lateinamerika und die Karibik durch den nordamerikanischen Imperialismus verbunden wird.

Die US-Administration hat auch ihre Maßnahmen gegen Venezuela und Nicaragua verschärft. Wa­rum richten die USA ihre Angriffe gleichzeitig gegen diese Staaten?

Sie können nicht akzeptieren, dass es Länder gibt, die sich entschieden haben, die Kontrolle über ihr Schicksal selbst zu übernehmen und einen Weg der unabhängigen und souveränen Entwicklung zu gehen. Deshalb haben die USA jetzt diese lächerliche Behauptung aufgestellt, dass unsere drei Länder die »Troika der Tyrannei« bilden, und deshalb greifen sie zu allen Möglichkeiten, unsere wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu stören. Kürzlich haben sie auch damit begonnen, ähnliche Erklärungen über Bolivien und über die dort im Oktober stattfindenden Präsidentschaftswahlen abzugeben.

Wie wird Kuba reagieren?

Die vollständige Anwendung des Helms-Burton-Gesetzes wird zusammen mit den weiteren Aktionen, die sie derzeit ankündigen, unvermeidlich finanzielle Folgen haben. Sie wird kubanischen Einrichtungen schaden und unserem Volk größere Schwierigkeiten und Mangel bringen. Das erklärte Ziel ist es, die Wirtschaft zu erdrosseln und das gesamte kubanische Volk zu bestrafen, um unsere Regierung zu Zugeständnissen zu zwingen.

Das ist nichts Neues. Schon am 6. April 1960 hatte der damalige US-Vize­außenminister Lester Mallory ein Memorandum verfasst, wonach die einzige Möglichkeit, das kubanische Volk dazu zu bewegen, der eigenen Regierung die Unterstützung zu entziehen, darin liege, das ökonomische Leben des Landes zu schwächen, um Hunger, Hoffnungslosigkeit und den Sturz der Regierung zu provozieren. Das ist die Politik, die sie seit 60 Jahren verfolgen.

Trotzdem wird es diesen Maßnahmen nicht gelingen, den entschlossenen Widerstand der Kubanerinnen und Kubaner auch nur minimal zu schwächen, und sie werden ihrem alten Trugbild vom Sturz der Kubanischen Revolution und der Kontrolle unseres Landes kein Stück näherkommen. Kuba wird alle eingegangenen Verpflichtungen erfüllen und auch den eingeschlagenen Kurs der Annäherung mit in anderen Ländern lebenden Kubanern fortsetzen, auch mit denen in den USA.

Erschienen am 30. April 2019 in der Tageszeitung junge Welt