Gespräch mit Orlando Maniglia Ferreira: »Unsere Probleme sind lösbar«

Orlando Maniglia Ferreira ist Botschafter der Bolivarischen Republik Venezuela in der Bundesrepublik Deutschland

Am 11. April 2002, dem Tag des Putsches in Venezuela, waren Sie Konteradmiral der Marine …

Ja, ich war Kommandeur eines Flottengeschwaders und hatte die Befehlsgewalt über etwa 2.000 bis 3.000 Personen.

Sie waren also nicht direkt an den damaligen Ereignissen in Caracas beteiligt, aber als Angehöriger der Streitkräfte doch davon betroffen. Wie haben Sie diese Tage erlebt?

Wir haben natürlich im Fernsehen verfolgt, was in der Hauptstadt passierte, und es wurde bald deutlich, dass ein Staatsstreich vorbereitet wurde, um die verfassungsmäßige Ordnung zu durchbrechen. Am Abend des 11. April, als uns die Meldungen über Tote und Verletzte in Caracas erreichten, herrschte in den Kasernen große Anspannung. In dieser Situation gab es dann die Erklärungen der Oberkommandierenden der verschiedenen Teilstreitkräfte, die sich öffentlich gegen die Regierung aussprachen. Es kann keinen Zweifel daran geben, dass das ein Putsch war.

Im Unterschied zu den blutigen Ereignissen am 11. April erfolgte die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung am 13. April ohne Gewalt. Das muss man würdigen. Der Präsident kehrte in sein Amt zurück, und es begann eine neue, eine politische Etappe. Für die Streitkräfte bedeutete diese neue Phase ebenfalls eine Zeit der Aufklärung und der Disziplinierung. In den Streitkräften zu dienen, erfordert ein hohes Pflichtgefühl für die Nation. Dazu gehört nach meiner Auffassung auch anzuerkennen, dass Probleme auf politischem Weg, durch Dialog und Konsens, gelöst werden müssen. Natürlich gibt es Probleme, auch heute, die etwa durch die wirtschaftliche Lage verursacht werden. Zum anderen war Präsident Hugo Chávez eine sehr starke, eine prägende Persönlichkeit, und Länder in unserer Region brauchen eine starke Führung – denken wir nur an die Rolle von Lula in Brasilien oder von Rafael Correa in Ecuador.

Wollen Sie damit sagen, dass Venezuelas heutiger Präsident Nicolás Maduro schwach ist?

Nein. Aber die Führungsrolle von Chávez war besonders stark. Hugo Chávez gewann die Wahlen immer mit einem deutlichen Abstand zu seinen Konkurrenten, während Maduro 2013 nur knapp siegte. Die Opposition hatte damals geglaubt, dass sie endlich gewinnen würde. Als sie aber wieder verlor, griff in ihren Reihen die Frustration um sich und es kam zu einer Wutexplosion. Der unterlegene Kandidat Henrique Capriles Radonski rief seine Anhänger auf, ihre Wut auf die Straße zu tragen. Das war ein Aufruf zur Gewalt.

Ich denke, dass die Regierung richtig handelt, wenn sie dazu aufruft, unsere Probleme – die sie anerkennt – intern durch Dialog und Verhandlungen zu lösen. Sie sind lösbar, auch ohne ausländische Einmischung. Mit dieser sehen wir uns aber nun konfrontiert. Die Organisation Amerikanischer Staaten, OAS, hat versucht, uns unter die Vormundschaft einer Kommission zu stellen. Das widerspricht dem Selbstbestimmungsrecht der Länder, und darauf hat unsere Außenministerin Delcy Rodríguez ganz klar hingewiesen.

Die Opposition, die OAS, die internationalen Medien und Teile des Europaparlaments werfen der venezolanischen Regierung jedoch vor, nun selbst einen Staatsstreich zu begehen.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, TSJ, auf die sich diese Äußerungen beziehen, war kein Putsch. Es ging darum, dass der Staat für seine wirtschaftliche Entwicklung Entscheidungen treffen muss, und es gibt Fälle, in denen er dafür die Zustimmung des Parlaments braucht. Die Nationalversammlung befindet sich aber in einem Zustand der Nichtbefolgung eines Urteils des TSJ, in dem es um die Suspendierung der Mandate von vier Abgeordneten ging, deren Wahl angefochten wurde. Diese Situation hat dazu geführt, dass die Beschlüsse, die das Parlament fasst, keine juristische Gültigkeit haben. Ich denke aber, dass es irgendwann eine Verständigung zwischen Regierung und Nationalversammlung geben muss, denn dieser Zustand ist unhaltbar.

Die einzige Möglichkeit, die Differenzen beizulegen, ist der Dialog, und dieser muss zu Lösungen im Rahmen unserer Verfassung führen. Aber das müssen wir intern lösen, und das muss respektiert werden.

Eine der großen Stärken des venezolanischen Prozesses waren immer die sauberen und transparenten Wahlen, deren Ergebnisse von der Regierung immer – auch im Fall von Niederlagen – anerkannt wurden. Aktuell haben wir aber die Situation, dass es schon im vergangenen Jahr hätte Regionalwahlen geben müssen. Diese sind jedoch noch immer nicht terminiert. Wie ist so etwas möglich?

Der CNE war im vergangenen Jahr mit der Bewältigung des von der Opposition gestellten Antrags auf ein Amtsenthebungsreferendum gegen Präsident Maduro beschäftigt, das in der regulären Chronologie der Wahlen in Venezuela nicht eingeplant war. Der CNE hat aber bereits angekündigt, dass er in Kürze einen Zeitplan für die ausstehenden Abstimmungen vorlegen wird. Es gibt eine Verzögerung bei den Wahlen, aber sie werden stattfinden – in diesem Jahr die Entscheidung über die Gouverneure und Bürgermeister, im kommenden Jahr die Präsidentschaftswahl.

Erschienen am 11. April 2017 in der Tageszeitung junge Welt