Gerechtigkeit, nicht Rache

An den Beginn ihrer Erklärung stellten die FARC ein Zitat des in Südamerika als Befreier von der spanischen Kolonialherrschaft verehrten Simón Bolívar: »Ewiger Hass denen, die nach Blut dürsten und es ungerechtfertigt vergießen!« Vertreter der kolumbianischen Guerilla verlasen am Mittwoch abend (Ortszeit) in Havanna ein Kommuniqué, in dem sie eine ab Sonnabend, 20. Dezember, geltende unbefristete Waffenruhe ankündigen. Man werde alle Feindseligkeiten einstellen, solange die Guerillaeinheiten nicht von der Armee angegriffen würden, teilte der Chef der FARC-Delegation bei den Friedensverhandlungen, Iván Márquez, mit. Unmittelbar zuvor hatten die Aufständischen Kuba zur Freilassung der »Cuban Five« und zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit den USA gratuliert.

Überwacht werden soll die einseitige Feuerpause durch die Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR), die Lateinamerikanische und Karibische Staatengemeinschaft (CELAC), das Internationale Rote Kreuz sowie von der kolumbianischen Antikriegsinitiative »Breite Front für den Frieden«. »Unser Ziel ist, dass auch das souveräne Volk als Hauptakteur diese Überwachung leistet, denn sie soll dem Heimatland nutzen und eine Ehrung der Opfer des Konflikts gestern und heute sein«, heißt es in der Stellungnahme. Durch die Beobachtung der Waffenruhe wollen die FARC offenbar verhindern, dass sie für Verstöße gegen die Feuerpause verantwortlich gemacht werden, die durch Angriffe der Armee verursacht werden.

Die Regierung in Bogotá begrüßte die Ankündigung der Aufständischen zwar als »ersten Schritt zu einer Deeskalation«, bewertete die Forderung nach einer internationalen Überwachung der Feuerpause jedoch als »Bedingung«, die man nicht akzeptieren werde. Einen bilateralen Waffenstillstand könne es erst nach Unterzeichnung eines Friedensvertrages geben. Demgegenüber teilte die UNASUR mit, dass sie zu einer solchen Beobachtung der Waffenruhe bereit sei.

Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens hatten seit Beginn der Friedensverhandlungen 2012 immer wieder einen beiderseitigen Waffenstillstand gefordert, weil man mitten im Krieg nur schwer über den Frieden sprechen könne. Zudem wurden in den vergangenen Jahren über die Weihnachts- und Neujahrstage regelmäßig mehrwöchige Feuerpausen ausgerufen, die jedoch immer befristet waren und nicht verlängert wurden. Bogotá lehnte demgegenüber immer ab, die Angriffe auf Stellungen der Guerilla einzustellen. Zuletzt musste die kolumbianische Armee jedoch schwere Rückschläge einstecken. Im November gelang es Guerilleros, den hochrangigen General Rubén Alzate gefangenzunehmen, der nach wenigen Wochen wieder freigelassen wurde. Wenige Tage später besetzte eine Einheit der Aufständischen eine 35 Kilometer vor der Küste Kolumbiens gelegene Insel und demonstrierte damit, dass kein Bestandteil des Staatsgebiets vor Angriffen sicher ist. Man habe mit der Attacke auf die Unterdrückung der Bevölkerung auf der Isla Gorgona durch die Sicherheitskräfte reagiert, erklärten Vertreter des »Bloque Comandante Alfonso Cano« der FARC im Gespräch mit der alternativen Nachrichtenagentur ANNCOL.

Am Dienstag war zum fünften Mal eine Delegation von Opfern des jahrzehntelangen Bürgerkriegs in Havanna eingetroffen, um den Vertretern der Guerilla und der Regierung aus erster Hand über ihre Erfahrungen zu berichten. Zu den 60 Abgesandten gehörten die Schwester des 1999 von Paramilitärs ermordeten Journalisten Jaime Garzón sowie Angehörige der 2007 in der Gewalt der Guerilla bei einem Angriff der Armee getöteten elf Kommunalabgeordneten aus Valle del Cauca. Unabhängig von der unterschiedlichen Bewertung der Hintergründe und Ursachen des Krieges sei man sich einig gewesen, dass es um Gerechtigkeit, nicht um Rache gehen müsse, resümierten Journalisten die Begegnung. Nahezu alle Opfervertreter hätten sich für strukturelle Veränderungen in Kolumbien ausgesprochen.

Erschienen am 19. Dezember 2014 in der Tageszeitung junge Welt