Genug Blut vergossen

Nach dem Durchbruch in den Verhandlungen zwischen den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) und der kolumbianischen Regierung Ende September versucht die rechte Opposition, ein Ende des seit Jahrzehnten anhaltenden Bürgerkriegs in dem südamerikanischen Land zu verhindern. Staatschef Juan Manuel Santos warf am Freitag in Bogotá seinen Gegnern vor, sie würden jedes Abkommen attackieren und auch einen Vertrag »zwischen Engeln« ablehnen, weil für sie »der Frieden inakzeptabel« sei. Zwar nannte Santos keine Namen, aber es ist klar, dass vor allem sein Amtsvorgänger Álvaro Uribe, dem er selbst als Verteidigungsminister gedient hatte, Ziel der Vorwürfe war. Der inzwischen in scharfer Opposition zu seinem Nachfolger stehende Expräsident hatte in der vergangenen Woche erklärt, er fühle »Panik« angesichts der Möglichkeit, dass der oberste Comandante der FARC, Timoleón Jiménez alias »Timochenko«, Präsident Kolumbiens werden könnte. Über diese Möglichkeit hatte Santos zuvor am Rande der UN-Vollversammlung in New York mit in den USA lebenden Kolumbianern gesprochen. Nach Beendigung des Friedensprozesses könne jeder ehemalige Guerillero für ein öffentliches Amt kandidieren, betonte Santos. Es sei ja gerade das Ziel der Verhandlungen, dass die Aufständischen die Waffen niederlegen und ihren Kampf auf legalem und demokratischem Weg fortsetzen. Damit könne auch »Timochenko« für das Amt des Präsidenten kandidieren: »Warum nicht? Ich glaube aber nicht, dass er viele Stimmen erhalten würde.«

Am 24. September hatten Santos und »Timochenko« in Havanna die Unterzeichnung eines Abkommens verkündet, das den Weg für eine juristische Aufarbeitung des Bürgerkriegs freimachen soll. Am Freitag forderten die FARC nun eine schnelle Veröffentlichung des Originaltextes dieser Vereinbarung. Nur so könnten Verfälschungen und Fehlinterpretationen vermieden werden. So hatte Santos erklärt, der Vertrag taste die Immunität der früheren Staatschefs nicht an. Das wies der Chef der Verhandlungsdelegation der Guerilla in Havanna, Iván Márquez, zurück. »In keinem Teil des Abkommens ist die Rede von besonderer Immunität für irgend jemanden«, schrieb er im Internetdienst Twitter. Viele Kolumbianer wollen vor allem Uribe auf der Anklagebank sehen, damit er für seine Verbindungen zu den Paramilitärs und die unter seiner Regierung begangenen Verbrechen zur Verantwortung gezogen wird.

Unklar ist aber offenbar, welches überhaupt der Wortlaut des Abkommens ist. In einem am Wochenende veröffentlichten Kommuniqué zeigten sich die Aufständischen jedenfalls empört darüber, dass der Leiter der Regierungsdelegation in Havanna nicht das Abkommen selbst, sondern das Kommuniqué über die Einigung als den verbindlichen Text dargestellt habe. »Die Friedensdelegation der FARC-EP will ihren Verpflichtungen nachkommen. Dazu gehört insbesondere die mündliche Abmachung, die gegenwärtigen Friedensgespräche innerhalb von sechs Monaten abzuschließen. Dieses Ziel wird nicht erreichbar sein, wenn die Regierung damit beginnt, die bereits unterzeichneten Abkommen in Frage zu stellen.«

Bei den seit Ende 2012 laufenden Verhandlungen hatten sich die Delegationen bereits über eine Bodenreform, die legale politische Beteiligung der Opposition sowie über Maßnahmen zur Überwindung des Drogenanbaus geeinigt. Ende September war dann die Schaffung einer Sondergerichtsbarkeit zur Aufarbeitung der während des Krieges begangenen Verbrechen vereinbart worden. Die FARC hatten zudem zugesagt, innerhalb von zwei Monaten nach Inkrafttreten des endgültigen Friedensabkommens die Waffen niederzulegen.

Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Am Sonntag kritisierte die Guerilla in einem weiteren Kommuniqué, dass die kolumbianische Armee weiter Operationen in von den FARC kontrollierten Gebieten durchführt. Damit würden Zusammenstöße zwischen Einheiten der Guerilla und des Militärs provoziert, die den am 20. Juli von den Aufständischen erklärten einseitigen Waffenstillstand in Gefahr bringen könnten. Dieser sei eine wichtige Geste des Willens, einen stabilen und dauerhaften Frieden zu erreichen. Leider habe die Regierung ihrerseits keine entsprechende Erklärung abgegeben. »Wir als FARC-EP stehen zu unserem Wort, und jeden Tag sind wir mehr überzeugt davon, dass in den mehr als fünf Jahrzehnten Krieg genügend Blut von Tausenden Polizisten, Soldaten, Guerilleros und Zivilisten vergossen worden ist.«

Erschienen am 5. Oktober 2015 in der Tageszeitung junge Welt