Generalstreik legt Katalonien lahm

Ein Generalstreik hat am heutigen Freitag weite Teile Kataloniens lahmgelegt. Wie das Arbeitsministerium der spanischen Autonomen Region mitteilte, lag die Beteiligung an dem Ausstand im Handel bei 60 bis 80 Prozent, an den Universitäten bei 90 Prozent und im öffentlichen Dienst bei 30 Prozent. Im Gesundheitswesen, in dem weitreichende Notdienste angeordnet worden waren, legten demnach 26,3 Prozent der Beschäftigten die Arbeit nieder, wie das öffentliche Fernsehen TV 3 auf seiner Homepage meldete. Der Sender hatte ebenso wie andere Kanäle sein reguläres Programm um Mitternacht unterbrochen und sendet seither ausschließlich Nachrichten über die Protestaktionen. Auch Catalunya Ràdio strahlt nur noch Musik aus, unterbrochen von stündlichen Informationen über den Ausstand. Mehrere Tageszeitungen waren am Freitag nicht gedruckt erschienen, ihre Onlineausgaben beschränken sich ebenfalls auf Informationen über die Proteste.

Zu dem Generalstreik aufgerufen hatten mehrere der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung nahestehende Gewerkschaften. Da sie laut Gesetz keine allgemeinpolitischen Forderungen erheben dürfen, soll mit dem Ausstand formell ein monatlicher Mindestlohn von 1.200 Euro erreicht werden. Zudem verlangen die Gewerkschaften die Rücknahme von »Reformen« aus den Jahren 2011 und 2013, durch die die Arbeiterrechte eingeschränkt worden waren. Eigentlicher Anlass für den Generalstreik ist jedoch die am Montag erfolgte Verurteilung von zwölf katalanischen Politikern. Der Oberste Gerichtshof in Madrid hatte neun von ihnen wegen »Aufruhr« zu Haftstrafen von insgesamt fast 100 Jahren verurteilt. So soll der ehemalige stellvertretende Ministerpräsident Oriol Junqueras von der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) für 13 Jahre hinter Gittern.

»Der Urteilsspruch ist ein Skandal«, empört sich Luís, der in Vic in einem Immobiliengeschäft arbeitet und am Freitag wie viele andere mit einem der wenigen fahrenden Züge nach Barcelona gereist ist: »Ich gehe heute für die Unabhängigkeit unseres Landes auf die Straße.« An der zentralen Großdemonstration in der katalanischen Hauptstadt nahmen am frühen Abend nach Polizeiangaben mehr als eine halbe Million Menschen teil.

Als »zynisch« empfindet auch Rosa die Haftstrafen gegen die Politiker. Sie arbeitet normalerweise in einem Supermarkt in Vic, der wie die meisten Geschäfte der Stadt an diesem Tag geschlossen geblieben ist. Für sie gibt es keine andere Lösung als die Abtrennung Kataloniens von Spanien. Das sieht auch Jordi so, der als Versicherungsvertreter für die deutsche »Allianz« arbeitet. »Es geht nicht darum, dass wir die Guten wären und sie die Bösen. Wir wollen nur, dass sie uns in Frieden lassen.« Der Studentin Paula, die in einem schwarzen T-Shirt mit dem Logo der Antifaschistischen Aktion im Zug nach Barcelona sitzt, reicht das nicht. Sie setzt sich für eine sozialistische Katalanische Republik ein, auch wenn man momentan mit bürgerlichen Kräften zusammenarbeiten müsse.

In Barcelona wartet der Metallarbeiter Toni auf die Ankunft der »Freiheitsmärsche«, die seit Mittwoch jeweils rund 100 Kilometer zurückgelegt haben. Er selbst hatte sich in Girona der Demonstration angeschlossen und war zwei Tage marschiert, bis seine Füße nicht mehr mitmachten. »Ich bin jetzt mit dem Zug nach Barcelona gefahren und warte hier auf das Eintreffen der Kollegen«, erzählt er. Um den Hals trägt er ein gelbes Halstuch mit der »roten Estelada« – den vier roten Streifen der katalanischen Fahne und einem roten Stern. Er trägt diese und nicht die mit weißem Stern auf blauem Dreieck, »weil es die radikalere ist«. Er sei vor allem durch seine Kinder radikalisiert worden, »meine Eltern waren eher bürgerliche Katalanen«. Nun unterstütze er die antikapitalistische CUP: »Es gibt kein Zurück mehr, vor allem nicht nach dem, was in der letzten Zeit passiert ist. Der Spanische Staat ist diskreditiert.«

Nicht nur in Barcelona, wo die Guàrdia Urbana bei der zentralen Demonstration um 18 Uhr mehr als 525.000 Teilnehmer zählte, sondern auch in vielen anderen Städten Kataloniens gingen am Freitag unzählige Menschen auf die Straße. Allein in Girona beteiligten sich nach Polizeiangaben rund 60.000 Menschen an Demonstrationen. Die Hafenarbeiter in Barcelona und Tarragona legten die Arbeit ebenso nieder wie die Arbeiter des Autofabrikanten SEAT in Martorell. Mehrere Autobahnen waren durch Demonstranten blockiert, am Flughafen El Prat von Barcelona fielen Dutzende Flüge aus.

Auf der Via Laeitana im Zentrum Barcelonas kam es am Abend zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Die meist jugendlichen Teilnehmer wollten mit ihrer Aktion gegen eine Provokation faschistischer Gruppen am Vortag protestieren. Bei einer Kundgebung ultrarechter Organisationen für die »Einheit Spaniens« war es zu Hetzjagden von Neonazis auf Gegendemonstranten gekommen, ohne dass die anwesenden Polizeikräfte eingriffen.

Verfasst gemeinsam mit Stefan Natke

Erschienen am 18. Oktober 2019 in der Onlineausgabe der Tageszeitung junge Welt