General bricht Feuerpause

In Kolumbien drücken die Befürworter eines Friedensabkommens mit der FARC-Guerilla auf das Tempo. Die Delegationen beider Seiten hatten am vergangenen Wochenende in Havanna eine veränderte Fassung des ursprünglich im September unterzeichneten Vertrags vorgelegt. Die Überarbeitung war notwendig geworden, weil das Friedensabkommen am 2. Oktober in einem Referendum von einer knappen Mehrheit der Teilnehmenden abgelehnt worden war. In die revidierte Fassung wurden nun einige der Forderungen der Gegner des Abkommens aufgenommen. FARC-Chefunterhändler Iván Márquez sagte dazu, seine Organisation sei der anderen Seite »bis an unsere Grenzen und darüber hinaus« entgegengekommen.

Am Donnerstag (Ortszeit) forderte Innenminister Juan Fernando Cristo eine schnelle Umsetzung des Vertrags. Die jüngsten Ereignisse hätten gezeigt, dass der bestehende Waffenstillstand zwischen den Aufständischen und der Armee brüchig sei.

Cristo reagierte damit auf einen Zwischenfall, der sich am Dienstag im Departamento Bolívar an der Karibikküste ereignet hatte. Dort starben zwei Angehörige der FARC, die sich gerade auf dem Weg zu den in Havanna ausgehandelten Sammelpunkten befunden hatten, als sie von einer Einheit des Militärs angegriffen wurden. Die Corporación Solidaridad Jurídica, ein Zusammenschluss kritischer Juristen, verurteilte die Attacke als »Mord«. Der kommandierende General Alberto José Mejía hatte zu Protokoll gegeben, man habe die Angegriffenen zunächst für Mitglieder der ELN, der zweitgrößten Guerilla Kolumbiens, gehalten. Die Juristenvereinigung wies das zurück und sprach von einer schweren Verletzung des Waffenstillstands durch die Armee, zumal offenbar eine schon verletzte Kämpferin gezielt getötet worden sei, als sie einem Genossen Hilfe leisten wollte.

Die als Mitglieder der FARC inhaftierten politischen Gefangenen reagierten wütend auf den Tod ihrer Genossen. »Diese Aktion wurde direkt gegen die Einheiten der 37. Front der FARC geplant und durchgeführt«, heißt es in einem Kommuniqué des Gefangenenkollektivs im Nationalgefängnis Villa de las Palmas in Palmira, das die Juristen auf ihrer Homepage dokumentierten. »Pech für den General« sei gewesen, dass ein Opfer des Angriffs überlebt habe und den Verlauf der Operation zu Protokoll geben konnte.

Inzwischen zeichnet sich ab, dass die Verabschiedung des neuen Abkommens nicht in einem weiteren Referendum, sondern per Parlamentsabstimmung erfolgen soll. Das erklärte Staatschef Juan Manuel Santos am Donnerstag während eines Besuchs in Washington vor US-Kongressabgeordneten. Er rief die Vereinigten Staaten auf, durch Finanzhilfen dazu beizutragen, die illegal angebauten Kokapflanzen durch rechtmäßige Alternativen zu ersetzen. Das sei künftig möglich, weil die FARC die Institutionen des Staates nicht mehr angreifen, sondern die Substitution unterstützen würden. »Die fehlende Präsenz des Staates war eines der Probleme, die eine strukturelle Lösung verhindert haben, die mit der Umsetzung des Abkommens künftig gewährleistet ist«, zeigte sich Santos optimistisch.

Internationale Beobachter sind sich da weniger sicher. Der Chef der von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gebildeten Unterstützungsmission für den Friedensprozess, Roberto Menéndez, berichtete der Tageszeitung El Tiempo, dass sich kriminelle Banden und ultrarechte Paramilitärs in den von der Guerilla geräumten Gebieten breitmachen. Der Abzug der FARC bedeute nicht, dass der Staat dort sofort die Kontrolle habe. Auch der Vertreter des UN-Hochkommissars für Menschenrechte in Kolumbien, Todd Howland, warnte gegenüber dem Fernsehsender Cable Noticias, dass neue Banden in die Gebiete eindringen. So gebe es allein in Tumaco im Südwesten Kolumbiens bereits »sechs neue Gruppen«. Bei einigen davon handle es sich um ehemalige Angehörige der FARC, die angesichts der Stagnation des Friedensprozesses und der anhaltenden Unsicherheit mit ihrer Organisation gebrochen hätten. Die Konsequenz daraus müsse sein, so Howland, »dass dieser Prozess nicht unendlich weitergeht«, sondern zu einem Abschluss gebracht wird.

Erschienen am 19. November 2016 in der Tageszeitung junge Welt