Gegenwind für Guaidó

Die Freundin meldet sich am Mittwoch abend per Messenger aus Caracas. Es gehe ihr gut, »ich sitze hier bei Kerzenlicht, höre Radio Nacional de Venezuela, bis die Batterien alle sind und trinke einen Schluck Cocuy«. Mit der örtlichen Variante des Tequila spült sie den Frust über einen weiteren Stromausfall hinunter. Das hochprozentige Getränk ersetzt den Venezolanern seit einiger Zeit Rum und Whisky, die unbezahlbar geworden sind.

Notgedrungen haben sich viele Menschen mit den Blackouts arrangiert, die das südamerikanische Land vor allem seit Anfang März immer wieder lahmlegen. Wenn genügend Lebensmittel und Trinkwasser im Hause sind, richtet man sich ein und harrt der Dinge, die da kommen mögen. »Wir überleben«, lautet die lakonische Feststellung. Am Donnerstag morgen dann eine erleichterte Nachricht aus Barinas, diesmal von jW-Korrespondentin Modaira Rubio: »Wir haben wieder Strom, ich konnte mir mit der Maschine einen Kaffee machen.« Kleine Freuden im Venezuela dieser Tage.

Am Montag war es zu einem Brand im Wasserkraftwerk Guri gekommen. Staatschef Nicolás Maduro informierte am Mittwoch abend, dass es sich um einen Anschlag der äußersten Rechten gehandelt habe, ausgeführt vermutlich durch einen Scharfschützen mit einem Gewehr. Das Feuer habe schwere Schäden an den für die Stabilität der Stromversorgung unverzichtbaren Anlagen verursacht. Die Techniker hätten pausenlos gearbeitet, um die Energieleistung wiederherzustellen. Es müsse aber auch in den nächsten Tagen noch mit Einschränkungen gerechnet werden. Mehrere Tage lang wurden Behörden, Schulen und Hochschulen geschlossen, erst am Freitag normalisierte sich der Betrieb wieder.

Der Oppositionspolitiker Juan Guaidó, der sich am 23. Januar selbst zum »Übergangspräsidenten« Venezuelas ausgerufen hatte, warf Maduro vor, er wolle die Menschen dazu bringen, sich »an die Tragödie zu gewöhnen«. Für Sonnabend rief er seine Anhänger ein weiteres Mal zu Kundgebungen auf. »Ganz Venezuela« solle auf die Straße gehen. Der Putschist gerät immer mehr unter Zugzwang. Während der internationale Rückhalt mangels vorzeigbarer Erfolge bröckelt, wenden sich auch immer mehr Regierungsgegner enttäuscht vom »Selbsternannten« ab. Für den 6. April kündigte er deshalb nun »die ersten taktischen Aktionen der Operation Freiheit« an. Worin diese bestehen sollen, sagte er nicht. Viele Menschen befürchten, dass es sich um Gewaltaktionen paramilitärischer Gruppen handelt. Bei Twitter wird unter dem Namen »Operation Freiheit« direkt zur »Jagd auf die Chavistas« aufgerufen.

Die Anhänger der Regierung und des 1999 von Hugo Chávez eingeleiteten Reformprozesses leisten jedoch Widerstand. Auch sie wollen sich am Sonnabend zu einer weiteren Großdemonstration im Zentrum der Hauptstadt Caracas versammeln. Unter dem Slogan »Operation zur Verteidigung der Freiheit« werde man »der faschistischen und verbrecherischen Rechten sagen, dass hier ein freies Volk steht«, kündigte Aristóbulo Istúriz, ein führender Vertreter der Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas, bei einer Veranstaltung am Donnerstag in Caracas an.

Am selben Tag informierte die Contraloría General de la República (CGR), der Rechnungshof Venezuelas, dass Guaidó für 15 Jahre die Ausübung aller öffentlichen Ämter untersagt worden sei. CGR-Chef Elvis Amoroso begründete das damit, dass Guaidó seine Finanzen nicht offengelegt habe, wie dies Parlamentariern gesetzlich vorgeschrieben ist. Die venezolanische Verfassung verbietet Abgeordneten Nebeneinkünfte. Trotzdem habe der Abgeordnete mindestens 91 Reisen ins Ausland unternommen. Die Kosten dafür beziffert die Behörde auf umgerechnet 150.000 Euro. Woher die Mittel kamen, habe er nicht nachgewiesen. Die Entscheidung der CGR macht den Weg frei für eine Absetzung Guaidós als Parlamentspräsidenten sowie für den Entzug seiner parlamentarischen Immunität.

Die Vertretung Venezuelas in der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) warnte am Donnerstag, dass in dem von Washington kontrollierten Staatenbund ein Manöver vorbereitet werde, um eine Invasion zu rechtfertigen. Dazu wolle man einen Vertreter Guaidós zum Repräsentanten Venezuelas erklären, der dann eine ausländische Intervention erbitten soll. Dieser »perverse« Plan sehe vor, so die venezolanischen ­Diplomaten, erneut gewaltsamen Zusammenstöße an der Grenze zu provozieren, um einen Krieg zu rechtfertigen.

Erschienen am 30. März 2019 in der Tageszeitung junge Welt