Gefoltert, um zu schweigen

Gladys Ambort beeindruckt. Bei der Buchvorstellung in der jW-Ladengalerie im März war eine sympathische, starke und nachdenkliche Frau zu erleben. Auf den ersten Blick ist ihr nicht anzusehen, was sie zu ertragen hatte, sie selbst konnte jahrzehntelang nicht darüber sprechen. 1975 wurde sie im Alter von 17 Jahren in Río Cuarto, einer kleinen Stadt in der argentinischen Provinz Córdoba, noch unter der »demokratischen« Regierung von Isabel Perón, aufgrund der Denunziation ihrer Lehrerin verhaftet, weil sie sich für »Vanguardia Comunista«, einer Abspaltung der Sozialistischen Partei, engagiert hatte. Ein Jahr später putschten in Argentinien die Militärs, die Haftbedingungen verschlechterten sich dramatisch.

Gladys Ambort erlebte und überlebte Mißhandlungen durch die Militärs und wochenlange Isolationshaft. »Dadurch, daß ich die Dauer der bevorstehenden Isolationshaft nicht kannte, konnte ich mir auch nicht vorstellen, wie sich meine Lage wieder irgendwie ändern könnte«, schreibt Ambort in ihrem Buch »Wenn die anderen verschwinden, sind wir nichts«. Dem Kapitel vorangestellt ist ein Zitat von Margarete Buber-Neumann: »… man (wurde) ins deutsche Konzentrationslager unbefristet verschickt (…) Dieses Nichtwissen um die Dauer der Haft war eine der raffiniertesten Torturen.«

Den Schwerpunkt des Buches legt die Autorin weniger auf die Beschreibung von Grausamkeiten, sondern auf die Schilderung der »weißen Folter«, der Isolationshaft. »Man wird nicht gefoltert, damit man redet, sondern damit man schweigt«, formulierte Ambort dies während ihrer Lesung in der Ladengalerie. »In meinem Fall haben sie es geschafft, mich für Jahrzehnte zum Schweigen zu bringen.« Anfang 1978 wurde sie aus dem Gefängnis entlassen und fand Zuflucht in Frankreich. Bei einer Pressekonferenz in Paris schilderte sie damals ihre Erfahrungen: »Aber nichts, was ich an diesem Tag sagte, drückte aus, was ich wirklich erlebt hatte. Ich verstand den Sinn meiner Worte nicht richtig. Sie drückten in keiner Weise die Schmerzen aus, die mein Inneres in diesem Moment verzehrten.« Erst nach mehr als drei Jahrzehnten fand Ambort die Kraft, das Erlebte in Worte zu fassen. Sie schrieb ihr Buch in Spanisch, übersetzte es ins Französische. In Frankreich erschien es 2010, die deutsche Ausgabe vor kurzem, die für Argentinien kann sie im April dort vorstellen.

Es ist ein bewegendes und aufrüttelndes Werk, keine nur geschichtliche Abhandlung. Darauf weisen auch die Zitate hin, die Ambort jedem Abschnitt vorangestellt hat. Viele erinnern an die deutsche Nazidiktatur, und die meisten haben das Thema Einsamkeit und Isolation. So endet das Buch nicht nur mit einer Liste der Ermordeten, die stellvertretend für die 30000 »Verschwundenen« in Argentinien stehen, sondern auch mit dem Appell: »Damit sich niemals, niemals wiederholt, was geschehen ist, weder in Argentinien noch irgendwo anders.«

Gladys Ambort: Wenn die anderen verschwinden, sind wir nichts. Laika Verlag, Hamburg 2011, 223 Seiten, 19,90 Euro. ISBN 978-3-942281-94-2

Erschienen am 28. März 2011 in der Tageszeitung junge Welt