Fünf Revolutionen

Unter »Revolutionen« macht es Venezuelas Präsident Nicolás Maduro nicht. In einer über alle Rundfunk- und Fernsehsender des südamerikanischen Landes ausgestrahlten Ansprache kündigte der Staatschef am Dienstag abend (Ortszeit) nicht weniger als fünf solcher Umstürze an, mit denen er die »Neugründung des venezolanischen Staates« vorantreiben will. Im Konferenzsaal des Präsidentenpalastes Miraflores zeigte sich Maduro vor zwei großen Gemälden des Nationalhelden Simón Bolívar und der venezolanischen Staatsflagge sowie mit einem Strauß roter Rosen auf dem Schreibtisch, während er mit ernster Miene in die Kameras sprach. »In der neuen Phase der Bolivarischen Revolution werden wir in einem Ensemble von Revolutionen aktiv werden, die es erlauben, in der neuen Dynamik fortzufahren und die großen Aufgaben dieses historischen Augenblicks zu erfüllen«, erklärte er nicht ohne Pathos. Die fünf grundsätzlichen Umwälzungen seien »die Produktive Ökonomische Revolution, die Revolution des Wissens, die der großen sozialistischen Missionen, die Staatspolitische Revolution und die des territorialen Sozialismus«. All diese dienten den fünf historischen Zielen seiner Regierung: der Ausweitung und Festigung der nationalen Unabhängigkeit, dem weiteren Aufbau des »bolivarischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts«, der Umwandlung Venezuelas in eine soziale, wirtschaftliche und politische Macht, der Entwicklung einer neuen internationalen Geopolitik sowie der Bewahrung des Lebens auf dem Planeten und der Rettung der menschlichen Gattung durch »Ökosozialismus«.

 

Die Ansprache des Präsidenten war in Venezuela mit Spannung erwartet worden, denn schon vor Wochen hatte Maduro eine »Erschütterung« aller Bereiche der Regierung und des Staatsapparates angekündigt. Um den Weg dafür freizumachen, hatten alle Kabinettsmitglieder ihren Rücktritt erklärt. Eine Antwort darauf aber, was sich konkret durch die fünf neuen »Revolutionen« ändern wird, blieb Maduro in seiner Ansprache schuldig. Greifbar war zunächst nur die neue Zusammensetzung seines Kabinetts. Die größte Überraschung war dabei, daß der langjährige Erdölminister Rafael Ramírez an die Spitze des Außenministeriums wechselt. Die Nominierung des als pragmatisch geltenden Fachmanns könnte darauf hindeuten, daß Maduro in den Außenbeziehungen künftig ein größeres Gewicht auf Handel und Wirtschaft legen will. Bislang dominierten international vor allem politische Solidaritätsbekundungen. So hatte Venezuelas Regierung zuletzt in einem offiziellen Kommuniqué die Annexion weiterer palästinensischer Gebiete durch Israel scharf verurteilt. Der bisherige Chefdiplomat Elías Jaua übernimmt das Ministerium »für Kommunen und soziale Bewegungen«, das vor allem für die Bekämpfung der Armut in Venezuela zuständig ist.

Symbolträchtig ist die Ernennung eines Bruders des verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez, Asdrúbal Chávez, zum neuen Minister für Erdöl und Bergbau. Die Familie des legendären »Comandante« ist zudem durch dessen Schwiegersohn Jorge Arreaza im Kabinett vertreten, der Vizepräsident bleibt. Nur sieben der 28 Ministerien werden künftig von Frauen geleitet, darunter allerdings auch politisch wichtige Ämter wie das Verteidigungsministerium. An dessen Spitze bleibt Vizeadmiralin Carmen Meléndez.

Schon vor der Rede Maduros hatten bekannte Vertreter des Regierungslagers gewarnt, eine simple Kabinettsumbesetzung werde den im Land geweckten Erwartungen nicht gerecht. So erklärte der Abgeordnete und frühere Parlamentspräsident Fernando Soto Rojas im staatlichen Fernsehen VTV, die angekündigte »Erschütterung« müsse einhergehen mit »Vorschlägen, wie wir bestimmten Situationen begegnen und wie wir diese Lage kollektiv überwinden wollen, über Methoden der Arbeit und der Leitung«. So müsse Schluß damit gemacht werden, daß Freunde und Bekannte in bestimmte Ämter gesetzt werden – »sonst sind wir verbrannt und am Ende«.

Erschienen am 4. September 2014 in der Tageszeitung junge Welt