Fünf Millionen Dollar

Nach tagelangen Ausschreitungen rechter Oppositionsgruppen war die Lage in Venezuela am Dienstag weiter angespannt. Zwar herrschte in den meisten Stadtvierteln der Hauptstadt Caracas Ruhe, wie Augenzeugen gegenüber junge Welt berichteten, doch in einigen Gebieten hielten die Proteste an. Für Dienstag (Ortszeit) hatte der Chef der Rechtspartei »Voluntad Popular«, Leopoldo López, seine Anhänger zu einer weiteren Demonstration aufgerufen. Deren geplante Route zum Innenministerium im Zentrum von Caracas wurde von Bürgermeister Jorge Rodríguez allerdings untersagt. Zudem sollte am angekündigten Auftaktort, der Plaza Venezuela, zur selben Zeit ein Friedenskonzert stattfinden. Über den Internetdienst Twitter hielt López trotzdem an seinem Aufruf fest: »Wir brauchen keine Genehmigung, über seine Rechte verhandelt man nicht.« Wegen seiner Verwicklung in die gewaltsamen Ausschreitungen der vergangenen Woche wird er von den venezolanischen Behörden mit Haftbefehl gesucht.

 

Inzwischen verdichten sich die Hinweise darauf, daß die Auseinandersetzungen in Venezuela keine »spontanen Proteste unzufriedener Studenten« sind, wie die meisten westlichen Medien es darstellen. Am Montag abend (Ortszeit) präsentierte der Fernsehmoderator Miguel Ángel Pérez Pirela im staatlichen Fernsehen VTV den Mitschnitt eines Gesprächs zwischen einem im Ruhestand befindlichen General der venezolanischen Streitkräfte und einem Soziologen, der als Berater des Sekretärs des Oppositionsbündnisses MUD, Ramón Guillermo Avaledo, vorgestellt wurde. In der Aufnahme ist zu hören, wie sich die Gesprächspartner darüber unterhalten, daß Demonstrationen im Zentrum von Caracas derzeit unmöglich seien und daß es zur »Plünderung eines großen Einkaufszentrums« kommen werde. Zudem erklären die beiden namentlich nicht genannten Personen offen, daß sich Teile der Opposition den Tod von Leopoldo López wünschten, um für diesen dann die Regierung verantwortlich machen zu können.

Auch Washington ist offenbar wieder in die Destabilisierung Venezuelas verwickelt. Nachdem Präsident Nicolás Maduro am Sonntag die Ausweisung von drei Konsularbeamten der US-Botschaft in Caracas angeordnet hatte, berichtete die US-amerikanische Rechtsanwältin und Publizistin Eva Golinger am Montag, daß die USA allein für 2014 nicht weniger als fünf Millionen Dollar zur Unterstützung der Oppositionsgruppen in dem süd­amerikanischen Land bereitgestellt haben. Das sei zudem nur ein kleiner Teil der Gesamtsumme, mit der »die US-Regierung offen diese Gruppen finanziert«, erklärte sie im Gespräch mit VTV. 2005 war sie international bekannt geworden, als sie über den »Freedom of Information Act« Geheimdokumente veröffentlichen konnte, die eine Finanzierung venezolanischer Oppositionsgruppen durch die US-Administration seit 2001 belegen. Allein in den vergangenen drei Jahren seien den Regierungsgegnern aus Washington sogar mehr als 100 Millionen Dollar zugeflossen, bekräftigte Außenminister Elías Jaua am Montag unter Berufung auf »geleakte« Depeschen von US-Diplomaten. Die Sprecherin des US-Außenministeriums, Jen Psaki, wies das zurück. »Die Anschuldigungen, daß die Vereinigten Staaten dabei helfen, Proteste in Venezuela zu organisieren, sind unbegründet und falsch«, erklärte sie.

Der innerhalb der Opposition inzwischen an die Seite gedrängte frühere Präsidentschaftskandidat Henrique Capriles Radonski distanzierte sich inzwischen vorsichtig von den Aktionen seiner Gesinnungsgenossen. Es sei ein »Fehler« gewesen, unter den unzufriedenen Jugendlichen die Hoffnung zu wecken, durch Demonstrationen einen Sturz der Regierung erreichen zu können, sagte er dem Rundfunksender Unión Radio. »Mutig ist nicht, wer mehr Steine schmeißt oder wer mehr und härter redet oder mehr Drohungen ausspricht. Mutig ist, wer eine andersdenkende Person für seine Ideen gewinnen kann«, sagte er. Den gegenwärtigen Protesten fehle eine verantwortliche Führung.

Erschienen am 19. Februar 2014 in der Tageszeitung junge Welt