Freie Ostern

Die Menschen in Venezuela haben in der kommenden Woche frei. Während Gründonnerstag und Karfreitag in dem südamerikanischen Land ohnehin Feiertage sind, überraschte der venezolanische Präsident Hugo Chávez seine Landsleute am Mittwoch mit der Ankündigung, daß auch Montag, Dienstag und Mittwoch nicht gearbeitet werden muß. »Der wichtigste Grund dafür ist nicht Faulheit, sondern die Notwendigkeit, Strom zu sparen«, sagte Chávez in einer Fernsehansprache. Ausgenommen von der Arbeitsbefreiung sind lediglich die Branchen, die für die Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens notwendig sind, darunter Krankenhäuser, Lebensmittelgeschäfte und der Nahverkehr. Erwartungsgemäß wenig erfreut reagierte darauf der Unternehmerverband Fedecámaras. Gegenüber dem scharf regierungsfeindlichen Fernsehsender Globovisión kritisierte Verbandschef Noel Álvarez die Maßnahme als »populistisch«. »Alle Bürger müssen für die Ineffizienz der nationalen Regierung große Opfer bringen«, beklagte er sich.

Die zusätzlichen Urlaubstage sind die bislang spektakulärste Maßnahme der Regierung in Caracas zur Bewältigung der seit Monaten anhaltenden Energiekrise. Venezuela gewinnt zwei Drittel seines Stroms aus Wasserkraft. Infolge des Klimaphänomens »El Niño« leidet das Land jedoch seit mehr als einem Jahr unter einer Dürre, durch die die 96 Stauseen des Landes nahezu ausgetrocknet sind. Allein der Wasserstand des Guri-Stausees, nach dem Maracaibo-See das größte Gewässer Venezuelas, liegt mehr als 20 Meter niedriger als gewöhnlich und ist nur noch wenig von einem kritischen Wert entfernt, an dem einige der Turbinen abgeschaltet werden müßten. Auch der Pegel des Río Caroní, aus dem Venezuela normalerweise mehr als 24000 Megawatt Strom gewinnt, ist um rund 60 Prozent gefallen. Erst ab Mitte Mai wird mit einer Erholung dieser Situation gerechnet.

Die staatlichen Fernsehsender strahlen unermüdlich Werbespots aus, die den Zuschauern mitteilen, daß Stromsparen »die Aufgabe jedes und jeder« sei. Bekannte Musikgruppen erläutern ihren Fans, daß sie beim Verlassen eines Raums das Licht ausschalten und das Geschirr nicht bei laufendem Wasserhahn spülen sollen. Auch in den Zeitungen und Internetportalen sind die großformatigen Anzeigen unübersehbar. Bereits in den vergangenen Jahren wurden in Venezuela 46 Millionen herkömmlicher Glühbirnen durch Energiesparlampen ausgetauscht. Dadurch habe im nationalen Stromnetz fast 900 Megawatt Energie eingespart werden können, freute sich Ana Ramírez vom staatlichen Stromkonzern EDC.

Um Strom einzusparen, hat die venezolanische Regierung in den vergangenen Wochen außerdem bereits die Arbeitszeit der öffentlichen Verwaltung verkürzt und die Öffnungszeiten der großen Einkaufszentren eingeschränkt. Am vergangenen Montag wurde sogar 96 Unternehmen in Caracas für 24 Stunden die Stromversorgung gesperrt, weil diese sich nicht um Energieeinsparungen bemüht, sondern im Gegenteil ihren Verbrauch sogar noch erhöht hatten. Für Vizepräsident Elías Jaua war diese Maßnahme eine letzte Warnung an die betroffenen Unternehmen. Sollten sie sich weiterhin weigern, das von der Regierung ausgegebene Ziel von 20 Prozent weniger Verbrauch anzustreben, könnten die Firmen auch für mehrere Tage von der Energieversorgung abgekoppelt werden. Privathaushalte werden mit einer Mischung aus Strafe und Belohnung zum Sparen angehalten. Wer seinen Verbrauch um 10 bis 20 Prozent senken kann, darf sich über einen Rabatt von 20 bis 75 Prozent auf seine Stromrechnung freuen. Umgekehrt wird fehlendes Stromsparen mit einer Preiserhöhung um 75 Prozent bestraft, ein Anstieg des Stromverbrauchs kann sogar eine bis zu dreimal erhöhte Rechnung zur Folge haben.

Erschienen am 26. März 2010 in der Tageszeitung junge Welt