Francos König geht

Am Morgen des 2. Juni verkündete Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy von der postfranquistischen Volkspartei (PP) die Abdankung von König Juan Carlos. Kurz darauf strahlten die Fernsehsender eine Erklärung des Monarchen »an die Spanier« aus. Er gebe das Amt an seinen Sohn Felipe ab, um die »Stabilität zu sichern«. Unmittelbar darauf begann die Regierung damit, die gesetzlichen Voraussetzungen für den Wechsel im Madrider Königspalast zu schaffen. Innerhalb von Stunden wurde ein Organgesetz in das Parlament eingebracht, durch das die Abdankung des Königs ratifiziert wurde. Rund 85 Prozent der Abgeordneten stimmten dem Entwurf am 11. Juni im Kongreß zu. Nur die Plurale Linke – die gemeinsame Fraktion von Vereinigter Linker (IU), der katalanischen ICV-EUiA und der aragonesischen CHA – sowie die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) verlangten per Änderungsantrag, die Spanier innerhalb von drei Monaten in einem Referendum darüber entscheiden zu lassen, ob ihr Land eine Monarchie bleiben oder zur Staatsform einer Republik zurückkehren sollte. »Wir leugnen nicht, daß Felipe de Borbón das Recht haben könnte, Staatschef zu sein – aber erst, nachdem er Wahlen gewonnen hat, in denen die Bürgerschaft ihren Willen in diesem Sinne geäußert hat«, erklärte die ERC laut einer Meldung der Nachrichtenagentur Europa press vom 9. Juni im Vorfeld.

 

Die linken Fraktionen machten sich mit ihrer Haltung zum Sprachrohr von rund 62 Prozent der Spanier, die sich einer Umfrage der Tageszeitung El País zufolge für einen solchen Volksentscheid aussprechen. Der Vorstoß wurde jedoch nicht nur von der mit absoluter Mehrheit regierenden PP – deren Vorgängerpartei AP (Alianza Popular) 1976 von mehreren früheren Ministern des Franco-Regimes gegründet worden war – abgeschmettert, sondern auch von den Sozialdemokraten der »Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei« (PSOE). Deren früherer Chef und ehemalige Ministerpräsident Felipe González erklärte dazu am 9. Juni im spanischen Rundfunk SER: »Wir Sozialisten sind keine Republikaner. Für den demokratischen Sozialismus ist die Staatsform nicht das Wichtigste. Der König hat seine Sache sehr gut gemacht.« Im Parlament sagte Parteichef Alfredo Pérez Rubalcaba, er stimme »mit republikanischer Seele für die Monarchie«. Obwohl einige Parteivertreter und der eigene Jugendverband Widerspruch anmeldeten, blieben die Reihen der Sozialdemokraten geschlossen. Im Parlament enthielt sich nur ein Abgeordneter, Odón Elorza, der Stimme, während eine Abgeordnete, Paloma Rodríguez Vázquez, der Sitzung fern blieb.

Demgegenüber erklärten bei der namentlichen Abstimmung über die Abdankung alle Parlamentarier der IU: »Für mehr Demokratie und die Republik – ich stimme mit Nein«. Die Vertreter der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) votierten ebenfalls mit »Nein« und ergänzten dies um die Losung »Für die katalanische Republik«. Auch andere Regionalparteien votierten gegen die Monarchie oder enthielten sich, während die Parlamentarier des baskischen Linksbündnisses Amaiur den Plenarsaal vor der Prozedur verließen. Zuvor hatte ihr Sprecher Sabino Cuadra mit der Ikurriña, der baskischen Flagge, in der Hand seinen Redebeitrag mit dem Ruf »Nieder mit der Monarchie, es lebe das freie und republikanische Euskal Herria!« beendet.

Belagerungszustand

Der offizielle Schlußpunkt der Amtsübergabe von Juan Carlos an seinen Sohn soll am heutigen Donnerstag die offizielle Inthronisierung des neuen Königs Felipe VI. durch beide Kammern des spanischen Parlaments sein. In der Hauptstadt Madrid herrscht Belagerungszustand. Ein Großaufgebot von Polizei und paramilitärischer Guardia Civil soll Proteste verhindern, der Luftraum über der Metropole ist gesperrt. Demonstrationen wurden verboten. Geht es nach den Anhängern der Republik, wird dies aber zumindest die letzte Amtseinführung eines neuen Königs in Spanien sein. Und die Chancen dafür stehen besser, als es die monarchistische Mainstreampresse glauben machen will.

Im vergangenen Jahr hatten Juan Carlos und seine Gattin Sofia noch allen Spekulationen über einen Rücktritt eine Absage erteilt: »Ein König dankt nicht ab, ein König stirbt«, hieß es am 5. Januar 2013 in der spanischen Ausgabe der Onlinezeitung Huffington Post. Daß er diesem Prinzip nun untreu geworden ist, wird von vielen Menschen als Eingeständnis der Krise gewertet, in der sich der spanische Staat und die Monarchie befinden. Für diesen Eindruck hat insbesondere der Zeitpunkt kurz nach der Europawahl gesorgt. Bei dieser waren die bislang hegemonialen Parteien PP und PSOE abgestraft worden. Sie erreichten zusammen weniger als 50 Prozent der Stimmen und der Sitze im Europaparlament – bei der letzten spanischen Parlamentswahl 2011 waren sie zusammen noch auf mehr als 73 Prozent gekommen. IU und andere kleinere Parteien konnten dagegen zulegen. Vor allem aber überraschte die neue populistische Linkspartei Podemos, die aus dem Stand fünf Abgeordnetenmandate erringen konnte. Mit diesem Ergebnis straften die Spanier eine von beiden großen Parteien für die von ihnen zu verantwortende Wirtschafts- und Sozialpolitik ab, die das Land in den Ruin treibt. So lag die offizielle Erwerbslosenquote im April insgesamt bei 25,1 Prozent und bei den unter 25jährigen sogar bei 54 Prozent.

Die Abdankung von Juan Carlos ist jedoch keine Ausnahme in der Geschichte der spanischen Monarchie. Im Gegenteil: Hätte er seine Regentschaft bis zum Tod fortgesetzt, wäre er der erste spanische König der zurückliegenden 100 Jahre gewesen, dem dies gelang. Im 20. Jahrhundert hat kein einziger Monarch in Madrid bis an sein Lebensende regiert. Der letzte, der dies schaffte, war Alfonso XII., der Spanien seit dem Putsch gegen die Erste Spanische Republik im Jahr 1874 bis zu seinem Tod 1885 beherrschte. Sein Sohn Alfonso XIII., der erst wenige Wochen nach dem Tod seines Vaters geboren wurde, mußte 1931 abdanken, als die republikanischen Parteien die als Plebiszit über die Monarchie interpretierten Kommunalwahlen gewannen. Er starb 1941 im Exil in Mussolini-Italien. Zuvor hatte er die Franco-Faschisten bei deren Putsch gegen die Spanische Republik unterstützt, mußte jedoch frustriert feststellen, daß der Diktator zunächst nicht daran dachte, die Monarchie wiederherzustellen.

Alfonsos Sohn Juan de Borbón pochte ebenfalls vergeblich auf seinen Thronanspruch. Dabei schwankte er zwischen oppositioneller Haltung und Anbiederung gegenüber dem Regime. 1945 warf er Franco im »Manifest von Lausanne« vor, dessen »von den totalitären Systemen der Achsenmächten inspirierte« Herrschaft widerspreche »dem Charakter und der Tradition unseres Volkes«. Zugleich machte er aber die durch den Franco-Putsch zerschlagene Republik (1931–1936) für den Ausbruch des Bürgerkrieges verantwortlich. »Nur die traditionelle Monarchie kann ein Instrument des Friedens und der Einigkeit sein, um die Spanier zu versöhnen«, schlußfolgerte der verhinderte Monarch.1

Francos Nachfolger

Am 31. März 1947 wurde in Madrid per Gesetz festgelegt, daß Franco selbst »zum geeigneten Zeitpunkt« entscheiden solle, wer sein Nachfolger als »König oder Regent« des »Königreichs Spanien« werden solle. Am gleichen Tag suchte Francos Vertrauter Luis Carrero Blanco in Portugal, wo der Diktator António de Oliveira Salazar der spanischen Königsfamilie ab 1946 Zuflucht gewährte, Juan de Borbón auf. Blanco teilte diesem mit, daß er möglicherweise König werden könne, »aber König des katholischen, antikommunistischen und antiliberalen Spaniens der Nationalen Bewegung«. Eine Woche später protestierte der Thronanwärter öffentlich in seinem »Manifiesto de Estoril« gegen das verabschiedete Gesetz, weil dies die Erbfolge der Monarchie mißachte.

Zeitgleich knüpfte er jedoch Verbindungen zum Regime. Im August 1948 trafen sich schließlich Franco und Juan auf einer Yacht und vereinbarten, daß der damals zehnjährige Juan Carlos nach Spanien übersiedeln und dort weiter ausgebildet werden sollte. Im Gegenzug ließ sich Juan zusichern, daß die vom Regime über die Königsfamilie verhängten Beschränkungen aufgehoben würden und die monarchistische Zeitung ABC »frei informieren« dürfe. Zu diesem Zeitpunkt hoffte Juan offenbar noch darauf, selbst den Thron besteigen zu können. Ihm war aber klar geworden, daß er dies nicht ohne die Zustimmung des Diktators erreichen konnte, dessen Stellung sich seit 1945 deutlich stabilisiert hatte. War unmittelbar nach der Befreiung Europas vom Hitlerfaschismus noch damit gerechnet worden, die Alliierten würden nun auch Franco stürzen, erkannten die USA im Zuge des beginnenden Kalten Krieges die strategische Bedeutung Madrids. Speziell nach der Verkündung der antikommunistischen »Truman-Doktrin« im März 1947 wurden die Kräfte in der US-Administration, die Spanien als »Bollwerk gegen den Kommunismus« nutzen wollten, hegemonial gegenüber den antifaschistischen Stimmen, die sich zumindest für eine Isolierung des Regimes ausgesprochen hatten.

Juans Hoffnungen auf den Thron zerplatzten endgültig, als Franco 1969 Juan Carlos zu seinem Nachfolger und neuen König bestimmte und damit die traditionelle Erblinie ignorierte. Zwischen Vater und Sohn de Burbón führte dies zu einem mehrjährigen Zerwürfnis, nachdem Juan Carlos in einem Brief an seinen »vielgeliebten Papa« diesem mitgeteilt hatte, er sehe es »als Spanier und als Mitglied der Dynastie« als seine Pflicht an, »das größte Opfer meines Lebens zu machen und in Erfüllung einer Gewissens­pflicht die Ernennung zu akzeptieren, damit die Monarchie nach Spanien zurückkehrt.«2 Juan reagierte darauf mit seiner »Zweiten Erklärung von Estoril«, in der er sich von den Vorgängen distanzierte und jede Verantwortung ablehnte. Erst 1977 – zwei Jahre nach Francos Tod – verzichtete er formell auf seine Ansprüche und akzeptierte die Regentschaft seines Sohnes.

Francos Entscheidung über seine Nachfolge wurde am 22. Juli 1969 vom Pseudoparlament der Diktatur, den »Cortes Españolas«, ratifiziert. Am folgenden Tag legte der zum Prinzen von Spanien und künftigen König erklärte Juan Carlos vor den »Abgeordneten« den Amtseid ab, in dem er versprach, Staatschef Franco gegenüber loyal zu sein sowie die Grundgesetze des Staates und die Prinzipien der Staatspartei »Movimiento Nacional« zu achten und durchzusetzen. Acht Jahre später, am 22. November 1975 – zwei Tage nach dem Tod des Diktators – wurde Juan Carlos zum König von Spanien proklamiert und legte den fast wortgleichen Schwur ab – nur Loyalität gegenüber dem Staatschef mußte er nicht mehr versprechen, denn dieser war er nun selbst. Die Sitzung endete mit dem Ausruf: »Voller bewegender Erinnerung an Franco – Es lebe der König! Es lebe Spanien!«

König der Demokratie?

Dieser Aspekt der Machtübernahme durch den nun abtretenden König wird von dessen Anhängern gern verschwiegen oder heruntergespielt. Statt dessen berufen sie sich auf das Referendum von 1978. Durch die Abstimmung wurde eine neue Verfassung des Landes, die Spanien zur »parlamentarischen Monarchie« erklärte, verabschiedet. Deshalb handele es sich bei der Regentschaft von Juan Carlos um »eine Krone, die aus den Urnen hervorging«, wie Roberto Pérez am 4. Juni in der ABC behauptete. Entscheidend dafür seien die Kommunisten gewesen, die sich damals für die Monarchie entschieden hätten: »Die PCE (…) hätte sich in jenem Augenblick für den Bruch (mit dem System) entscheiden können, aber Santiago Carrillo stellte sich hinter die Verfassung von 1978.«

So einfach ist es nun doch nicht. Zwar hatte offenbar Juan Carlos schon wenige Tage nach seinem Amtsantritt dem im Exil lebenden PCE-Generalsekretär Santiago Carrillo eine Nachricht übermittelt, man möge Geduld haben und solle die Angriffe auf die Monarchie einschränken, damit der neue König eine Demokratisierung Spaniens beginnen könne. Die PCE wurde aber erst am 9. April 1977 legalisiert, nachdem bis dahin die Repression gegen diese Partei, die als wichtigste Kraft des Widerstands gegen die Diktatur galt, fortgesetzt worden war. So wurden noch im Januar 1977 fünf kommunistische Rechtsanwälte ermordet, die für die von der PCE geführte damalige Untergrundgewerkschaft Comisiones Obreras (CCOO) – heute neben der UGT der größte Gewerkschaftsbund Spaniens – Rechtsberatung angeboten hatten. Zudem drohten führende Kreise des Militärs kaum verhüllt mit einem erneuten Staatsstreich, wenn die »Transición«, die Demokratisierung, zu weit gehen würde. Symbol für die Kontinuität war für die putschbereiten Generäle die Figur des von Franco eingesetzten Königs. Dessen Sturz wäre für die Faschisten vermutlich die »rote Linie« gewesen.

Carrillo entschied sich in der damaligen Situation – ohne Diskussion in der eigenen Partei – für den Dialog und für einen Kompromiß mit den bürgerlichen Demokraten. Das entsprach im Kern den Aussagen des 1960 in Prag verabschiedeten Parteiprogramms, in dem als unmittelbares Ziel »die Beendigung der faschistischen Diktatur des Generals Franco« proklamiert worden war. Erst wenn diese überwunden sei, werde man die im Programm festgelegten weiteren Ziele verfolgen. Zur Frage der Staatsform heißt es darin: »Die Kommunistische Partei spricht sich für die demokratische Republik aus und vertraut voll darauf, daß dies auch die Meinung der Mehrheit der Spanier sein wird. Aber die Kommunistische Partei wird in jedem Fall den frei zum Ausdruck gebrachten Willen der Nation befolgen.« Zugleich stellte sich Carrillo allerdings auch gegen einen Großteil der Mitglieder, die im Inland in der Illegalität gekämpft hatten. Sie hatten das geschwächte Regime unmittelbar erlebt, und viele von ihnen traten für einen radikalen Bruch mit der Diktatur ein. Wie für die Franquisten war der König auch für diese Kommunisten die Symbolfigur für die Kontinuität des Regimes und das Ausbleiben eines konsequenten Umsturzes.

Schon in der Illegalität hatte die »eurokommunistische«, reformistische Linie der PCE-Führung zu mehreren Abspaltungen geführt. So gründete Enrique Líster, der legendäre General der republikanischen Truppen im Spanischen Krieg, 1973 die Spanische Kommunistische Arbeiterpartei (PCOE). Solche dissidenten Strömungen konnten sich angesichts des hohen Ansehens der offiziellen PCE jedoch in der Öffentlichkeit nicht durchsetzen. Die meisten Abspaltungen vereinigten sich 1984 zur Kommunistischen Partei der Völker Spaniens (PCPE). Carrillo selbst wurde 1985 zusammen mit einigen Anhängern aus dem Zentralkomitee der PCE ausgeschlossen. Ein Jahr später gründete er die »Partei der Arbeiter Spaniens« (PTE), die 1991 in der sozialdemokratischen PSOE aufging.

Heute erklärt die PCE, daß die in sich widersprüchliche Verfassung von 1978 »erschöpft« sei. Die »Transición« von 1978 habe dazu gedient, »daß die Interessen des Franquismus an das andere Ufer wechseln konnten, ohne dafür bedeutend zahlen zu müssen«. Verantwortlich dafür sei auch das US-State Department gewesen, das seit 1945 den Übergang vom faschistischen Regime zu einer Zwei-Parteien-Demokratie aus »Demokraten« und »Sozialisten« entworfen habe. 1975 habe in Washington vor dem Hintergrund des Kalten Krieges die Befürchtung geherrscht, es könne sich – wie 1974 in Portugal – auch in Spanien eine »Nelkenrevolution« ereignen, die dort ja zunächst den Kapitalismus in Frage gestellt hatte.

Auch der König, dessen Regentschaft durchaus nicht unumstritten war, fürchtete einen Kontrollverlust. Die ersten mehr oder weniger freien Wahlen von 1977 hatte zwar die liberale UCD des seit 1976 amtierenden Regierungschefs Adolfo Suárez gewinnen können, doch als starke Mehrheiten drohten die PSOE – in der zu diesem Zeitpunkt der marxistische Flügel noch eine knappe Mehrheit hatte – und die PCE, während die aus den Eliten der Diktatur entstandene AP noch von allen demokratischen Parteien als Koalitionspartner ausgeschlossen wurde. Im Baskenland setzte die ETA ihren bewaffneten Kampf fort, und auch die aus PCE-Abspaltungen hervorgegangenen Untergrundorganisationen »Antifaschistische Widerstandsgruppen 1. Oktober« (GRAPO) sowie »Revolutionäre Antifaschistische und Patriotische Front« (FRAP) führten militante Aktionen durch. Von rechts rasselten die Militärs mit den Säbeln und drohten kaum verhohlen mit einem Staatsstreich.

Dieser ereignete sich am 23. Februar 1981 (23-F). An diesem Tag sollte Leopoldo Calvo-Sotelo als Nachfolger des im Januar zurückgetretenen Suárez zum neuen Regierungschef gewählt werden. Die Bilder vom Oberstleutnant Antonio Tejero, der mit gezückter Waffe und rund 200 Angehörigen der paramilitärischen Guardia Civil kurz nach 18 Uhr das Parlament stürmte, gingen um die Welt. Militärs besetzten den spanischen Fernsehsender RTVE und unterbrachen das Programm. Doch der größte Teil der Streitkräfte schloß sich dem Putschversuch nicht an. Nach 21 Uhr wurde das Scheitern der Erhebung absehbar. Gegen 22 Uhr meldete sich der katalanische Regierungschef Jordi Pujol im Rundfunk zu Wort und rief zur Ruhe auf. Für alle offensichtlich zusammengebrochen war der Staatsstreich dann, als gegen 1.15 Uhr nachts Juan Carlos auf den Fernsehschirmen erschien und erklärte, eine gewaltsame Unterbrechung des demokratischen Prozesses könne nicht akzeptiert werden.

In der vorherrschenden Geschichtsschreibung Spaniens gilt diese kurze Rede des Königs in Militäruniform als die entscheidende Tat zur Rettung der Demokratie. Doch in den vergangenen Jahren sind zahlreiche Indizien bekanntgeworden, die ein anderes Licht auf die damaligen Ereignisse und deren Hintermänner werfen. So schrieb Oberst Amadeo Martínez Inglés, der während der Zeit der Transición unter anderem dem Oberkommando des Heeres angehört hatte, in seinem Buch »La transición vigilada«, der angebliche Putsch vom 23. Februar 1981 sei ein Manöver gewesen, das von der Krone selbst ausging. »Die Zivilgardisten, die unter dem Befehl des Oberstleutnant Tejero in das Abgeordnetenhaus eindrangen, wendeten sich nicht gegen den König, sie kamen vielmehr in seinem Namen und brachten sogar, wie im Fernsehen zu sehen war, Hochrufe auf den Monarchen aus.« Ziel sei es gewesen, eine Allparteienregierung an die Macht zu bringen und zugleich einen angeblich für den 2. Mai geplanten Putsch der extremen Rechten gegen den König zu verhindern.

In seinem Buch zitiert Martínez auch Aussagen des einzigen an dem Staatsstreich vom 23. Februar beteiligten Generals, Milans del Bosch, der Valencia durch seine Panzer hatte besetzen lassen. Der General habe ihm im Gefängnis gesagt, daß hinter dem Putsch der König selbst gestanden habe, der den laufenden Prozeß habe »berichtigen« wollen. Die Umgestaltung Spaniens drohte demnach, Juan Carlos zu entgleiten und dadurch auch die Monarchie zu gefährden. Es sollte deshalb durch den 23-F eine Allparteienregierung etabliert werden, der unter Führung eines Militärs alle im Parlament vertretenen Parteien – von der rechten AP bis zur PCE – angehören sollten.

Indirekt bestätigt Jordi Pujol, katalanischer Regierungschef von 1980 bis 2003, diese These. In seinen 2009 erschienenen Memoiren schreibt er, im Spätsommer 1980 habe ihn ein hoher Vertreter der PSOE, Enrique Múgica, angesprochen und um Unterstützung für den Sturz von Suárez gebeten. Dieser sollte durch einen Militär »mit demokratischem Geist« ersetzt werden. Er habe das entschieden abgelehnt.

Bei den Feierlichkeiten am heutigen Donnerstag wird davon kaum die Rede sein. Statt dessen werden Festredner und Staatsmedien den großen Demokraten Juan Carlos würdigen. Doch wenn die Zeremonie vorüber ist, wird der Alltag das von Affären und Korruptionsskandalen erschütterte Königshaus wieder einholen. Wir werden sehen, wie Felipe als neuer Kopf der durch Franco-Putsch und Diktatur wiedererrichteten Monarchie dieser Herausforderung begegnen wird. Es ist gut möglich, daß er der letzte seiner Art in Spanien ist.

Anmerkungen

1 Manifiesto de Lausana, 19. März 1945; es.wikisource.org/wiki/Manifiesto_de_Lausana
2 Carta del Príncipe Juan Carlos, 15. Juli 1969; galeon.com/franquismo/web/designacion.pdf

Erschienen am 19. Juni 2014 in der Tageszeitung junge Welt