junge Welt, 16. November 2016

Folterer auf Anklagebank

Abschiedsgeschenk für Friedensnobelpreisträger Barack Obama: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) will gegen US-Soldaten und CIA-Agenten vorgehen, die in Afghanistan Gefangene gefoltert und andere Verbrechen begangen haben. Das geht aus dem Jahresbericht hervor, den das Büro von Chefanklägerin Fatou Bensouda am Montag abend veröffentlichte. Die Ermittler sprechen darin von mindestens 88 Fällen, in denen Angehörige des US-Militärs und des Geheimdienstes Gefangene misshandelt haben sollen. Die Vorwürfe reichen bis in das Jahr 2014, also bis in die Zeit von US-Präsident Obama und seiner Außenministerin Hillary Clinton sowie deren Nachfolger und aktuellem Amtsinhaber John Kerry. Die Mehrzahl der Anklagepunkte beziehen sich aber auf die Jahre 2003 und 2004, als Colin Powell Chefdiplomat von ­George W. Bush war.

Der Strafgerichtshof betont in seinem Rapport, dass es sich nicht um Einzelfälle gehandelt habe: »Diese mutmaßlichen Verbrechen waren keine Übergriffe einiger weniger isolierter Individuen. Vielmehr scheinen sie als Teil genehmigter Verhörtechniken akzeptiert worden zu sein.« Auch hochrangige Vertreter der US-Regierung hätten sie gebilligt. Die Täter blieben bislang straffrei: »Nach den verfügbaren Informationen war die Anklage nicht in der Lage, irgendeine Person in den Streitkräften zu identifizieren, die vor Kriegsgerichten wegen der Misshandlung von Gefangenen angeklagt wurde.« Im Falle der CIA habe es lediglich zwei Verfahren gegen mutmaßliche Täter gegeben, die beide jedoch »aus Mangel an Beweisen« mit Freisprüchen endeten.

Die Vorwürfe gegen die US-Besatzer in Afghanistan – die mit tatkräftiger Unterstützung der deutschen Bundeswehr und von deren politischen Befehlsgebern rechnen konnten – sind nicht neu. So wurde erst 2014 das berüchtigte Foltergefängnis auf der US-Luftwaffenbasis Bagram geschlossen. Einem Bericht des britischen Guardian zufolge wurden die letzten dort inhaftierten Afghanen vermutlich in das US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba gebracht, dessen Schließung Obama bei seinem Amtsantritt versprochen hatte und das immer noch in Betrieb ist.

Der Bericht der Chefanklägerin kann auch als Versuch gelesen werden, auf die wachsende Kritik an der bisherigen Praxis des Strafgerichtshofs zu reagieren. Burundi, Südafrika und Gambia haben ihre Mitgliedschaft bereits aufgekündigt und damit auf die Tatsache reagiert, dass sich bislang nur Staatsangehörige afrikanischer Staaten vor dem Strafgerichtshof verantworten mussten, seit dieser 2002 seine Tätigkeit aufgenommen hat. Ein Grund dafür ist, dass Staaten wie die USA, Russland oder China das Statut nicht ratifiziert haben. So kann der IStGH nur dann gegen US-Bürger ermitteln, wenn diese ihre Verbrechen in einem Land begangenen haben, dass sich der Jurisdiktion unterworfen hat. Da Afghanistan dies getan hat, geraten die US-Besatzer dort in das Visier des Gerichtshofs. Im Irak, das sich dem IStGH nicht angeschlossen hat, sind die US-Besatzer dagegen sicher – im Gegensatz zu ihren britischen »Kameraden«. Da London das Statut ratifizierte, kann die Chefanklägerin gegen Soldaten aus dem Vereinigten Königreich ermitteln. Diesen werden in dem Bericht mehr als 1.000 Fälle von Folter an Gefangenen sowie 319 »ungesetzliche Tötungen« in den Jahren 2003 bis 2008 zur Last gelegt. Die Rede ist von »systematischen und umfangreichen Kriegsverbrechen« durch britisches Personal.

Erschienen am 16. November 2016 in der Tageszeitung junge Welt