Für die Revolution

Strahlend blauer Himmel über dem Kölner Rheinufer. Die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) konnte sich am Pfingstwochenende nicht über das Wetter beklagen. Zum ersten Mal seit 20 Jahren hatte der Jugendverband wieder zu einem »Festival der Jugend« eingeladen. Zwischen 1978 und 1988 hatten diese Festivals alle zwei Jahre Zehntausende von Jugendlichen angezogen, denen ebenso Konzerte wie politische Diskussionen, Kultur, Workshops und viele Gelegenheiten geboten wurden, bei Bier und anderen Getränken ausgiebig zu feiern.

Ganz so viele waren es diesmal zwar nicht, aber immerhin kamen weit über 1000 Jugendliche in Köln zusammen, um den 40. Geburtstag der am 5. Mai 1968 gegründeten SDAJ zu feiern. Unter ihnen nicht nur Mitglieder des Verbandes, sondern auch Antifaschisten, Gewerkschafter, Mitglieder anderer linker Organisationen und Gäste u.a. aus Kolumbien, der Schweiz, der Tschechischen Republik, Kuba, Portugal oder Griechenland. Auch manch grau gewordener Kopf ließ es sich nicht nehmen, an dem Festival teilzunehmen. In einem eigenen Zelt wurden mit Fotos, Dokumenten und alten Zeitschriften an die Geschichte der SDAJ, ihrer Kampagnen und Festivals erinnert und bis spät in die Nacht Anekdoten aus alten Zeiten ausgetauscht.

Das Bild am Rheinufer wurde aber von Kindern und Jugendlichen geprägt, die nicht nur bei Ska- und HipHop-Konzerten abfeierten, sondern auch zahlreich an den vielen politischen Diskussionen und Veranstaltungen teilnahmen. So wurde über Kampagnen gegen die Bundeswehr ebenso debattiert wie über den Kampf für Ausbildungsplätze und gegen die Privatisierung des Bildungswesens. Der stellvertretende Leiter der internationalen Abteilung der Kommunistischen Partei Kubas, Oscar Martínez, informierte über die jüngsten Veränderungen auf der Karibikinsel und betonte: »Es geht nicht um einen Übergang, es geht um die Revolu­tion!« Kuba werde seinen sozialistischen Kurs nicht aufgeben, betonte Martínez, sondern auch nach dem allmählichen Abtreten der Generation, die 1959 die Revolution zum Sieg führte, weiter für bessere Lebensbedingungen aller Menschen kämpfen. Das sei auch der Grund, weshalb Tausende kubanische Ärztinnen und Ärzte in Venezuela und anderen Ländern Lateinamerikas – »um gar nicht erst mit Afrika anzufangen« – helfen, die Gesundheitsversorgung der dortigen Bevölkerung zu verbessern.

Venezuela selbst stand im Mittelpunkt einer weiteren Diskussionsrunde, bei der es um die Perspektiven der bolivarischen Revolution in dem südamerikanischen Land ging. Natürlich verdiene die venezolanische Revolution die uneingeschränkte Solidarität der Linken in Deutschland, betonte der Journalist Günter Pohl, auch wenn noch offen sei, wie der Sozialismus aussehe, den der venezolanische Präsident Hugo Chávez und die bolivarische Bewegung aufbauen wollen: »Wir dürfen nicht den Fehler machen, die Realitäten in Lateinamerika mit unseren eigenen Konzepten und Erfahrungen zu verwechseln«, sagte er. Der Journalist Ekkehard Sieker diskutierte über die Kampagne gegen die niedersächsische Landtagsabgeordnete Christel Wegner, die als DKP-Mitglied nach einem Beitrag des Fernsehmagazins »Panorama« aus der frisch in den Landtag eingezogenen Linksfraktion ausgeschlossen worden war.

Die Vertreterin des in die Illegalität gedrängten Kommunistischen Jugendverbandes Tschechiens (KSM) konnte ihre Bewegung kaum verbergen, als das gerammelt volle Großzelt mit stehenden Ovationen ihr Grußwort beklatschte und gegen das Verbot der Jugendorganisation protestierte. Die Regierung in Prag hatte die KSM für aufgelöst erklärt, weil die Organisa­tion die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln fordert. »Wir versprechen euch, daß wir den Kampf fortsetzen«, versprach die junge Frau aus Tschechien und berichtete zugleich davon, daß die Polizei am 1. Mai Flugblätter und Fahnen ihres Verbandes beschlagnahmt und Nazis eine Ausstellung gegen das KSM-Verbot überfallen hatten.

Für linke Jugendverbände hat Pfingsten einen besonderen Klang. Das verlängerte Wochenende nach dem Ende der kalten Jahreszeit lädt dazu ein, zusammenzukommen und gemeinsam zu feiern, zu diskutieren und zu streiten. Das hatte bereits der Kommunistische Jugendverband Deutschlands (KJVD) erkannt, der in der Weimarer Republik große Pfingstjugendtreffen mit Tausenden von Teilnehmern organisierte.

Nach dem Krieg veranstaltete die Freie Deutsche Jugend (FDJ) zunächst Deutschlandtreffen, bei denen Zehntausende Jugendliche aus Ost- und Westdeutschland zusammenkamen, um gemeinsam gegen Krieg und Imperialismus zu demonstrieren. Auch, nachdem 1951 die FDJ in Westdeutschland verboten worden war, nahmen Hunderte von Jugendlichen an den Treffen teil, wobei sie oftmals illegal die deutsch-deutsche Grenze überschreiten mussten, weil die Behörden der Bundesrepublik eine Teilnahme verboten hatten.

Nach 1964 wurden die Deutschlandtreffen durch FDJ-Jugendtreffen abgelöst, die sich auf die DDR beschränkten. Im Westen konnte erst 1968 wieder eine revolutionäre Arbeiterjugendorganisation gegründet werden, die SDAJ. Sie griff die Tradition der Pfingstreffen auf und veranstaltete jährlich regionale Pfingstcamps mit Tausenden von Teilnehmern. Ab 1978 fanden dann alle zwei Jahre die Festivals der Jugend statt, die auf ihrem Höhepunkt bis zu 80000 Menschen anzogen. Nach 1990 mußte sich die SDAJ bescheidenere Ziele setzen und veranstaltete regionale oder bundesweite Pfingstcamps mit einigen hundert Jugendlichen.

SDAJ-Bundesvorsitzender Michael Grüß ist mit der Bilanz des diesjährigen Pfingstwochenendes sehr zufrieden: »Das Festival hat gezeigt, daß immer mehr Jugendliche keine Lust mehr auf reine Kommerzveranstaltungen haben, sondern selbst aktiv gestalten und eingreifen wollen.« Das zeigte sich auch bei der großen Geburtstagsfeier am Sonntag abend, bei der SDAJ-Gruppen aus Berlin, Hamburg, Kiel und anderen Städten Szenen aus der Geschichte des Verbandes darstellten. Der frühere SDAJ-Bundesvorsitzende Rolf Priemer verlas die Gründungserklärung vom 5. Mai 1968, und Olaf Harms aus Hamburg berichtete von der Arbeit der SDAJ in der Bundeswehr, um die Wehrpflichtigen dem Einfluß der Regierenden zu entziehen. Bis spät in die Nacht sangen dann Hunderte mit Achim Biegus Kampflieder – die »Hits der Arbeiterklasse« – oder frischten bei Cocktails und Bier alte und neue Freundschaften auf.

Einig waren sich die Jugendlichen, daß dieses erste Festival der Jugend neuer Zeitrechnung nicht das letzte gewesen ist – künftig sollen sie wieder alle zwei Jahre stattfinden.

Erschienen in der Tageszeitung junge Welt, 13. Mai 2008