junge Welt, 7. Februar 2014

Festung Europa tötet

junge Welt, 7. Februar 2014Die Festung Europa hat weitere Todesopfer gefordert. Mindestens sieben Menschen sind am Donnerstag an der Grenze zwischen Marokko und der spanischen Kolonie Ceuta an der Nordküste Afrikas ums Leben gekommen, als sie versuchten, die massiv gesicherten Sperranlagen zu überwinden und in die EU zu gelangen. Bis zum Nachmittag waren sechs Männer und eine Frau tot geborgen worden, nach weiteren Opfern wurde noch gesucht.

 

Wie spanische Medien berichteten, hatten in den Morgenstunden rund 400 afrikanische Flüchtlinge versucht, gemeinsam den Grenzübergang El Tarajal zu durchbrechen. Die meisten von ihnen seien aufgehalten und festgenommen worden. Daraufhin hätten einige versucht, den hier bis ins Meer reichenden Stacheldrahtzaun zu umschwimmen. Dabei ertranken sie oder wurden von den Wellen gegen die Betonbefestigungen der Grenzanlagen geschleudert. »Ich habe meinen Bruder im Wasser sterben gesehen. Die Guardia Civil hat auf uns geschossen«, wurde ein überlebender Mann aus Kamerun zitiert. Auch andere Augenzeugen berichteten, daß die spanischen Grenztruppen mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Flüchtlinge vorgegangen seien.

Die Direktorin der spanischen Flüchtlingshilfsorganisation Red Acoge, Mónica García, verurteilte den Tod der Männer und Frauen: »Weder messerscharfer Stacheldraht noch die Verlängerung einer Mauer können verhindern, daß eine Person vor Menschenrechtsverletzungen flieht. Die Errichtung der Festung Europa fortzusetzen, löst kein Problem.«

Die im Norden Marokkos gelegenen Städte Ceuta und Melilla sind die letzten spanischen Kolonien auf dem afrikanischen Festland. Tausende Flüchtlinge aus Afrika versuchen, über diese Exklaven das Gebiet der EU zu erreichen. Zu ihrer Abwehr sind die Sperranlagen in den vergangenen Jahren mit Mitteln der EU immer weiter ausgebaut worden. Wachtürme, Videoüberwachung, Bewegungssensoren und spitze Stacheln an dem sechs Meter hohen Zaun sollen eine Überwindung der Anlage unmöglich machen. Sollte es doch jemand schaffen, wird er von der spanischen Polizei oft ohne jedes Verfahren zurückgeschickt. Nach Enthüllungen der spanischen Kinderrechtsorganisation PRODEIN räumte das Innenministerium in Madrid am Dienstag ein, daß »in Einzelfällen« Flüchtlinge gesetzwidrig nach Marokko abgeschoben worden seien. Tatsächlich scheint dies jedoch die Regel zu sein, wie ein am 15. Januar in Melilla entstandenes und von ­PRODEIN veröffentlichtes Video nahelegt. Darauf sind zahlreiche spanische Polizeifahrzeuge zu sehen, in denen immer mehr Menschen an einen kleinen Übergang nach Marokko gebracht und den Behörden des nordafrikanischen Königreichs übergeben werden.

In Marokko werden die Flüchtlinge oft mißhandelt und dann ihrem Schicksal überlassen. Bereits 2012 hatte eine Delegation der Evangelischen Kirche im Rheinland bei einem Besuch in Marokko deren erschreckende Lage selbst erlebt. Die durch die Blockadepolitik an den EU-Außengrenzen entstandene Lage sei unerträglich, berichtete die Gruppe. Am vergangenen Sonntag fand im Aachener Dom ein Friedensgebet für die Flüchtlinge statt. »Frauen, die morgens ein Baby geboren haben, werden abends mit dem Säugling zum Sterben in der Wüste ausgesetzt«, berichtete dabei einer der Engagierten. »Ohne Wasser, Nahrung, Kleidung, Handy oder Geld gibt es für sie keinen Weg zurück. Ich nenne so etwas geduldete Ermordung.«

Erschienen am 7. Februar 2014 in der Tageszeitung junge Welt