Feindbild »Linker Antisemitismus«

Der Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses, Petr Papousek, hat am Sonntag in einem Interview mit der Deutschen Presseagentur, dpa, erklärt, der »linke Antisemitismus« sei gefährlicher als der rechte. Während der rechte Antisemitismus »in weiten Teilen der Gesellschaft absolut tabuisiert« sei, komme der »linke Antisemitismus« nicht nur »getarnt« daher, »er ist auch weitgehend akzeptiert als Teil der Universitäten, der Politik und der öffentlichen Debatte«. Das »eigentliche Problem« sei zudem, »daß in Europa immer mehr muslimische Einwanderer leben, und ein Teil von ihnen verachtet Juden«. Bild hätte es nicht besser formulieren können.

 

Laut seiner Selbstdarstellung auf der Homepage vertritt der Jüdische Weltkongreß »das jüdische Volk in seiner Pluralität und ist politisch unparteiisch«. Tatsächlich jedoch agiert die Organisation als Sprachrohr der israelischen Regierung, der eine Delega­tion erst Mitte Juli einen »Solidaritätsbesuch« abstattete.

Aber: Es gibt keinen linken Antisemitismus – ebensowenig wie es einen linken Rassismus, Militarismus oder Faschismus geben kann. Antisemitismus ist immer rechts, ist immer reaktionär. »Juden ins Gas« ist eine Naziparole, egal, wo und warum sie gerufen wird. Antisemiten sind keine Linken, selbst wenn sie sich für Linke halten.

Eine Linke aber, die sich nicht traut, den Krieg der israelischen Regierung gegen die palästinensische Zivilbevölkerung in Gaza zu verurteilen, verdient diesen Namen auch nicht. Wer sich nicht gegen das Bombardieren von Schulen, Flüchtlingslagern und Wohnhäusern stellt, stellt sich gewollt oder ungewollt auf die Seite derjenigen, die die Bomben schmeißen.

Die israelische Regierung hat in den vergangenen Monaten und Jahren alle gewaltfreien Versuche der Palästinenser, zu einem Friedensabkommen zu gelangen, abgeblockt. Während der palästinensische Präsident Mahmud Abbas eine Verhandlungsrunde nach der anderen absolvierte, wurden die Siedlungen immer weiter ausgebaut, verschlechterte sich die Lage der Menschen immer mehr. Abbas wurde so von Israel als hilflose Marionette gedemütigt – was reaktionären Kräften wie der Hamas die Chance eröffnete, sich als diejenigen zu profilieren, die »etwas tun«.

Papousek nannte in dem Interview als Beispiel für »linken Antisemitismus«, Israel werde »als Kolonialmacht hingestellt«. Doch es ist wohl kaum aus der Luft gegriffen, wenn einen die Zerstückelung der palästinensischen Gebiete durch Siedlungen und Checkpoints an die Politik der »Homelands« des südafrikanischen Rassistenregimes erinnert, das von Tel Aviv bis zuletzt unterstützt worden war. Noch 1993 hatten Sprecher der israelischen Regierung erklärt, eine Regierung der Schwarzen in Südafrika bedeute eine »Katastrophe« für die Juden in Südafrika. Nelson Mandela reagierte darauf damals mit den Worten: »Wir bekräftigen das Recht des Staates Israel, in sicheren Grenzen zu existieren. Aber mit gleichem Nachdruck unterstützen wir das palästinensische Recht auf Selbstbestimmung.« Dem ist bis heute nichts hinzuzufügen.

Erschienen am 5. August 2014 in der Tageszeitung junge Welt