Fünf Artikel

Eine Woche vor dem Referendum über eine Änderung der venezolanischen Verfassung haben in Caracas Tausende von Menschen für und gegen das von der Nationalversammlung beschlossene Vorhaben demonstriert. Die vorgesehene Änderung von fünf Artikeln des venezolanischen Grundgesetzes betreffen das passive Wahlrecht. Nach den gegenwärtigen Bestimmungen können Abgeordnete, Gouverneure, Bürgermeister und der Präsident der Republik lediglich einmal wiedergewählt werden, was von vielen Parlamentariern als Einschränkung des Wahlrechts angesehen wird. So könnte Venezuelas Präsident Hugo Chávez bei der nächsten Wahl 2012 nicht mehr antreten.

Pro und kontra

Für die Kampagnenleitung der Befürworter sagte Venezuelas Informationsminister Jesse Chacón am Samstag, er gehe von einem umfassenden Sieg des »Ja« zur Verfassungsänderung aus. Umfragen zahlreicher Meinungsforschungsinstitute hätten in den vergangenen Wochen eine wachsende Unterstützung in der Bevölkerung ergeben, während die Gegner immer mehr Rückhalt verloren hätten. Ende vergangenen Jahres hatten von den oppositionellen Medien verbreitete Umfrageergebnisse das Gegenteil besagt. Über die jüngsten Zahlen wird hingegen kaum informiert.

Die Opposition prognostiziert dagegen einen klaren Sieg des »Nein« bei der Abstimmung am kommenden Sonntag. Bei einer von ihr organisierten Großkundgebung am Samstag mit Zehntausenden Teilnehmern – einige Medien berichteten von »Hunderttausenden« – beschwor der Vertreter rechter Studentengruppen der Katholischen Universität Andrés Bello, David Smolansky, die vorgeblich so »gute alte Zeit« vor der Chávez-Präsidentschaft mit den Worten: »Dieses Land war immer ein Paradies für jede Klasse von Menschen, ohne Unterschied der Religion, Rasse oder politischer Ideologie. Nie war es schlecht, reich zu sein, arm zu sein, oder der Mittelschicht anzugehören, Christ oder Jude zu sein. Es war immer ein Paradies des Zusammenlebens, und das werden sie uns nicht wegnehmen«.

Vor dem Amtsantritt von Chávez im Februar 1999 hatten in Venezuela bis zu 42 Prozent der Menschen nicht genug zu essen. Die Zahl der insgesamt in Armut lebenden Menschen war in den 90er Jahren bis auf über 75 Prozent der Bevölkerung angestiegen. Diese Fakten veranlaßten die Anhänger der Regierung dazu, ihre Demonstration zum Abschluß der Kampagne für eine Unterstützung der Verfassungsänderung im bevölkerungsreichen Stadtteil Petare durchzuführen – anstatt ins Zentrum der Hauptstadt zu gehen. Und also füllten Tausende Menschen die Straßen: Rote Fahnen, bunte Wimpel, an den Häusern angebrachte Plakate und Transparente, auf denen für den 15. Februar zur Stimmabgabe für das »Ja« aufgerufen wurde, prägten das Bild..

Ermittlungen gefordert

Unterdessen hat Venezuelas Präsident Hugo Chávez die Staatsanwaltschaft aufgefordert, Ermittlungen gegen gewalttätige Gruppierungen einzuleiten, die angeblich auf seiten der Revolution stehen. Konkret nannte Chávez den Chef der in Caracas aktiven Gruppe »La Piedrita« (das Steinchen), Valentín Santana, der in einem Interview mit der rechten Wochenzeitung Quinto Día die Verantwortung für mehrere gewaltsame Überfälle übernommen hatte, darunter auf den Sitz der päpstlichen Nuntiatur in Caracas. Zugleich hatte Santana die Ermordung von Oppositionsführern angedroht. »Er hat Namen und Vornamen einer Person genannt, die sie töten wollen, wenn sie sie kriegen. Ich habe die Generalstaatsanwältin angerufen, damit sie etwas unternimmt. Santana muß verhaftet werden, denn niemand darf jemanden mit dem Tod bedrohen oder die Justiz in die eigenen Hände nehmen«, forderte Chávez daraufhin.

Erschienen am 9. Februar 2009 in der Tageszeitung junge Welt