»Fake« sind immer die anderen

Gemeint sind immer die anderen. »Für Journalisten sind Faktenchecks der neue Standard. (…) Denn: Jeder hat das Grundrecht auf eine eigene Meinung. Aber nicht auf eigene Fakten.« So kommentierte Sonia Seymour Mikich am 12. Dezember in den »Tagesthemen« der ARD die aktuelle Diskussion um »Fake News«, also gezielt verbreitete Falschinformationen. »Skepsis ist gesund: Wer will, dass ich was glaube und warum. Hat diese Nachricht einen Absender? Kann ich eine Richtigstellung fordern? Echte Journalisten, on- und offline, sind rechenschaftspflichtig«, so Mikich weiter.

Ihr eigener Sender hat so seine eigenen Vorstellungen davon, was das bedeutet. Auf tagesschau.de ist nach wie vor eine Reportage des ARD-Korrespondenten Peter Sonnenberg abrufbar, die im Mai im »Morgenmagazin« gelaufen war. Der Reporter berichtet aus Caracas: »Die Polizei kesselt Studenten ein, und gleich darauf fliegen Tränengasgranaten auf uns Journalisten und auf absolut friedliche Demonstranten.« Auch Monate danach gibt es keinen Hinweis darauf, dass mit diesen Bildern irgend etwas nicht stimmen könnte. Dabei wurde nur Stunden nach der Ausstrahlung bei der ARD auf Youtube ein Video eingestellt, das den Bericht Sonnenbergs mit Aufnahmen vergleicht, die von der anderen Straßenseite aus aufgenommen wurden. Zu sehen ist hier, wie eine Gruppe dieser »absolut friedlichen Demonstranten« mit Knüppeln und Pflastersteinen einen Polizisten malträtiert, auch als dieser bereits am Boden liegt. Erst als dessen Kollegen kommen, ergreifen die Vermummten die Flucht. Kein Wort dazu in der ARD-Reportage. Gegenüber dem Onlineportal Amerika 21 verteidigte Sonnenberg seine Darstellung. Er selbst habe die aus der anderen Perspektive erkennbaren Ereignisse nicht gesehen.

Schon in der Vergangenheit haben sich deutsche Massenmedien zu Sprachrohren der Opposition in Venezuela und anderen progressiv regierten Ländern gemacht. Hauptinformations­quelle der fernab des Geschehens in Rio de Janeiro oder Mexiko-Stadt sitzenden Korrespondenten sind dann oft private Fernsehkanäle wie der seit langem auf Oppositionskurs befindliche Sender Globovisión oder der von Kolumbien aus nach Venezuela funkende Propagandakanal NTN24. Kritische Nachfragen zum Wahrheitsgehalt ihrer Berichterstattung gibt es selten. Spätestens, wenn die internationalen Nachrichtenagenturen auf solchen Grundlagen ihre Versionen der Geschehnisse durch die Ticker gejagt haben, gelten diese als Tatsachen – und anderslautende Darstellungen als »Propaganda«.

In Venezuela und anderen Ländern Südamerikas ist solche verzerrte Berichterstattung durch die großen Medienkonzerne Alltag. Wenn die progressiven Regierungen jedoch versuchen, solchen »Fake News« einen Riegel vorzuschieben, ist auch in deutschen Medien die Rede von Zensur. So berichtete die Süddeutsche Zeitung 2014 unter der Überschrift »Nach den Journalisten kommen die Zensoren« über ein neues Mediengesetz in Ecuador. »In Venezuela stirbt die freie Presse«, hieß es 2015 bei der Deutschen Welle. Schon 2004, als in Caracas das »Gesetz über die soziale Verantwortung von Radio und Fernsehen« verabschiedet wurde, das erstmals Jugendschutzbestimmungen festlegte, wetterte der damalige Chef des Fernsehsenders Globovisión, Alberto Ravell, seine Leute müssten künftig »mit einer Pistole am Kopf arbeiten«. Der österreichische Standard gab damals eine Erklärung der »Interamerikanischen Pressegesellschaft« (SIP) wieder, das Gesetz fördere Zensur und Selbstzensur. In Wien vergaß man aber zu erwähnen, dass die SIP nicht etwa eine Journalistenvereinigung ist, sondern eine Lobbyvereinigung von Verlegern und Medienkonzernen.

Erschienen am 17. Dezember 2016 in der Tageszeitung junge Welt