Fabrizierte Beweise

Mehrere tausend Menschen haben am Montag abend in Dutzenden Städten und Ortschaften Kataloniens gegen die Stunden zuvor erfolgte Festnahme von neun mutmaßlichen Aktivisten der Unabhängigkeitsbewegung protestiert. Allein in Sabadell, wo vier Personen von der paramilitärischen Guardia Civil abgeführt worden waren, kamen nach Informationen des Internetportals Nació Digital rund 4.000 Menschen auf der zentral gelegenen Plaça de Sant Roc zusammen. In Barcelona versammelte sich eine Menschenmenge vor der Kaserne der Guardia Civil an der Travessera de Gràcia. Das Gebäude wurde von einem Großaufgebot der katalanischen Regionalpolizei Mossos d’Esquadra abgeriegelt.

Kritik an Festnahmen

Am Montag vormittag waren rund 500 Beamte ausgerückt, um die Verdächtigten festzunehmen, denen die Staatsanwaltschaft »Rebellion, Terrorismus und Besitz von Sprengstoffen« vorwirft. Die Anordnung dazu kam von der Audiencia Nacional, einem »Terrorismus-Gerichtshof in Madrid, der noch unter Diktator Franco errichtet wurde und seitdem politische Gegner der Regierung verfolgt«, wie der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (Linke) am Dienstag in einer Pressemitteilung zu den Verhaftungen feststellte.

In dem Statement der Staatsanwaltschaft wird eingeräumt, dass keine Bomben oder ähnliches gefunden worden seien, sondern lediglich Substanzen, die zur Herstellung von Sprengkörpern dienen könnten. Trotzdem zeigt sich die Anklagebehörde sicher, dass die Festgenommenen »terroristische Projekte mit sezessionistischen Zielen« vorbereitet hätten. Diese sollten demnach im Zeitraum zwischen dem Jahrestag des »illegalen Selbstbestimmungsreferendums« vom 1. Oktober 2017 und dem Termin der Urteilsverkündung im Fall von zwölf in Madrid angeklagten katalanischen Politikerinnen und Politikern durchgeführt werden.

Bei den Betroffenen handelt es sich den Angaben zufolge um Aktivisten der »Komitees zur Verteidigung der Republik« (CDR). Diese Basisgruppen waren vor zwei Jahren im Zuge der Vorbereitungen der von der spanischen Zentralregierung verbotenen Abstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens entstanden und hatten eine entscheidende Rolle dabei gespielt, das Referendum trotz gewaltsamer Polizeieinsätze durchzusetzen. Neben der bieder und bürgerlich daherkommenden »Katalanischen Nationalversammlung« (ANC), die vor allem die jährlichen Großdemonstrationen zum Nationalfeiertag am 11. September organisiert, stehen die CDR für Aktionen des zivilen Ungehorsams wie der Blockade von Straßen und Bahnhöfen im Zuge größerer Proteste. Schon seit langem sind sie deshalb zum bevorzugten Angriffsziel der Rechtsparteien geworden.

Während fast alle spanischen Medien die Darstellung der Staatsanwaltschaft übernahmen, wiesen viele katalanische Organisationen die Vorwürfe noch am selben Tag zurück. Der linke Gewerkschaftsbund CGT, der sich in der Tradition der anarchosyndikalistischen CNT sieht und der Unabhängigkeitsbewegung kritisch gegenübersteht, fühlte sich in einer unmittelbar nach den Ereignissen veröffentlichten Stellungnahme an ähnliche Operationen erinnert, deren Ziel die Kriminalisierung sozialer Bewegungen durch »fabrizierte, lächerliche oder erst gar nicht existierende Beweise« gewesen sei. »Je nachdem, wie es der Macht gerade passt, werden mal die Libertären getroffen, ein anderes mal die Unabhängigkeitsbewegung, Muslime oder Straßenhändler.« Oftmals würden die Verfahren nach Monaten sang- und klanglos eingestellt, was den Medien dann nur noch eine kleine Randspaltenmeldung wert sei. Auch diesmal müsse man feststellen, so die CGT weiter, dass die meisten Medien unkritisch die Pressemitteilungen der Polizei reproduzierten, ohne deren Version in Frage zu stellen. »Das ist keine Pressefreiheit«, so die Gewerkschaft. Die Medien agierten als simple Transmissionsriemen der Sicherheitsbehörden.

Statement der CUP

Das für die Unabhängigkeit eintretende linke Wahlbündnis »Kandidatur der Volkseinheit« (CUP) warf den Behörden vor, mit der »Kriminalisierung von Dissidenten« und »erfundenen Geschichten« Angst in die Bevölkerung tragen zu wollen. Es komme jetzt darauf an, nicht nur gegen die Repression, sondern auch zur Verteidigung der Grundrechte auf die Straße zu gehen. Comunistes de Catalunya, die katalanische kommunistische Partei, und ihr Jugendverband JCC solidarisierten sich ebenfalls mit den Festgenommenen und riefen zur Beteiligung an den Protesten gegen die Versuche auf, die Unabhängigkeitsbewegung »mit einem nicht existierenden Terrorismus in Verbindung zu bringen«.

Erschienen am 25. September 2019 in der Tageszeitung junge Welt