»Es gibt keine Zufälle«

Putsch in Paraguay, Aufstand in Bolivien: Großmächte versuchen, revolutionäre Prozesse in Lateinamerika zu destabilisieren. Gespräch mit Nardi Suxo, Ministerin für institutionelle Transparenz und Korruptionsbekämpfung des Plurinationalen Staates Bolivien

In Bolivien ist es am Mittwoch gelungen, durch einen Kompromiß die Polizeirebellion zu beenden. Ist damit die gefährliche Lage, in deren Zusammenhang bereits von einem Putschversuch die Rede war, bereinigt?

Ja, das Problem ist gelöst. Das ist in erster Linie das Verdienst unseres Präsidenten Evo Morales, der sich immer für eine friedliche Beilegung ausgesprochen hat, und unsere Regierung ist immer zum Dialog bereit. Was allerdings bleibt, ist, daß wir wachsam sein müssen. Die rebellierenden Polizisten unterer Dienstgrade haben gezeigt, daß sie zu einem Aufstand in der Lage sind, und zudem haben einige Politiker der rechten Opposition die Proteste für ihre eigenen Ziele ausgenutzt. Aber wir hoffen, daß es jetzt schnell zu einer Rückkehr zur normalen Arbeit unserer Polizei und zum Respektieren unserer Verfassung kommt.

Wie war es möglich, daß ein Tarifkonflikt, Verhandlungen um eine Gehaltserhöhung, zu einem bewaffneten Aufstand eskalieren konnte?

Die Forderungen der Polizisten waren gerechtfertigt, das haben wir, im Gegensatz zu allen früheren Regierungen, anerkannt. In den sechs Jahren seit dem Amtsantritt unseres Präsidenten Evo Morales sind die Gehälter der Polizisten um 66 Prozent angehoben worden. Allerdings ist der Konflikt von Politikern ausgenutzt worden, die grundsätzlich gegen den Veränderungsprozeß in unserem Land eingestellt sind. Die Polizisten haben sich von Radikalen ausnutzen lassen, deren Ziel die Beendigung der Veränderungen in Bolivien sind. Deshalb sind unsere Basisgruppen und sozialen Bewegungen auf die Straße gegangen, um eine radikale Konfrontation zu verhindern und den Prozeß zu verteidigen.

Nun wurde jedoch eine weitere Gehaltserhöhung für die Polizisten vereinbart. Wird damit nicht deren bewaffnete Rebellion belohnt? Kann das nicht ein gefährliches Beispiel sein?

Ja, das ist tatsächlich ein gefährliches Signal. Und es war nicht unbedingt ein gutes Beispiel, was die Polizisten, die eigentlich dem Volk dienen sollen, durch ihr Verhalten gegeben haben. Es war nur eine kleine Gruppe von ihnen, die sich von rechten Kräften hat manipulieren lassen, deren Ziel die Destabilisierung des demokratischen Prozesses ist. Trotzdem muß dies nicht nur uns als Bolivianer alarmieren, sondern auch alle anderen Völker in der Region, um zu verhindern, daß auch in unserem Land so etwas wie in Paraguay passiert.

Es war auffällig, daß die Ereignisse in Paraguay und in Bolivien nahezu zeitgleich abliefen. Halten Sie das für einen Zufall?

In der Politik gibt es keine Zufälle. Die großen Mächte, die ihren Einfluß in unseren Ländern und vor allem in unseren revolutionären Regierungen verloren haben, werden immer versuchen, uns zu destabilisieren. Das haben sie in Paraguay getan, und wir verurteilen den institutionellen Putsch dort. Fernando Lugo bleibt der Präsident der Paraguayer, denn er ist nicht auf legitime Weise abgelöst worden.

Am Donnerstag ist auch ein Demonstrationszug von Indígenas in La Paz eingetroffen, die gegen den geplanten Bau einer Fernverkehrsstraße durch den Nationalpark TIPNIS protestieren…

Eines der Ziele dieses Marsches ist, die geplante Volksbefragung über das Straßenbauprojekt zu verhindern, obwohl eine solche klar in unserer Verfassung festgelegt ist, und obwohl solche Referenden immer zu den zentralen Forderungen der indigenen Bewegung gehört haben. Zudem nehmen an diesem Marsch nur wenige Indígenas teil, die meisten sind aus dem Ausland zugereist oder arbeiten für bestimmte Nichtregierungsorganisationen. Hinzu kommen Leute, die früher in der Regierung waren, sich aber komplett von dem Veränderungsprozeß in unserem Land abgewandt haben. Es geht den Führern, die diesen Marsch organisiert haben, nicht um die Lage der Menschen im TIPNIS, sondern um ihre eigenen politischen Ziele. Keine vorherige Regierung hat sich jemals um die Indígenas im TIPNIS gekümmert, es gab weder Schulen noch Gesundheitseinrichtungen. Das hat sich unter Evo geändert. In der Vergangenheit sind viele Menschen gestorben, weil es in der Region keine medizinische Betreuung gab. Der Straßenbau soll auch zu einer Lösung dieser Probleme beitragen. Durch die Befragung wird festgestellt, ob die Einwohner diese Straße haben wollen oder nicht, und diese Entscheidung muß respektiert werden.

Erschienen am 30. Juni 2012 in der Tageszeitung junge Welt