Symposium in Brüssel. Foto: André Scheer

Erstes internationales Amazon-Symposium

Rund 100 Interessierte sind am 2. Dezember in Brüssel zum ersten Symposium über die „unkontrollierte Macht von Amazon in der heutigen Wirtschaft und Gesellschaft“ zusammengekommen. Die Veranstaltung, zu der UNI Global Union und der Internationale Gewerkschaftsbund eingeladen hatten, richtete sich nicht nur an Gewerkschaftsvertreter, sondern auch an Vertreter der EU-Kommission, Abgeordnete des EU-Parlaments, Journalisten, Vertreterinnen und Vertreter von NGOs und Wissenschaftler sowie Repräsentanten kleiner Unternehmen.

23 Gewerkschaften aus 19 Ländern haben sich zu einem Amazon-Bündnis zusammengeschlossen. Eine wichtige Kraft darin ist ver.di, die durch Bundesfachgruppenleiter Orhan Akman in Brüssel vertreten war. Akman machte in seinem Beitrag auf die Gefahr aufmerksam, Amazon zu einem übergroßen Gegner zu stilisieren, gegenüber dem man selbst klein und schwach sei. Amazon sei jedoch ein kapitalistischer Konzern wie andere auch, nur besonders groß und besonders mächtig. Die jüngsten Streiks bei Amazon in der Bundesrepublik hätten durchaus Wirkung gezeigt, berichtete er von den Ausständen am „Black Friday“ und „Cyber Monday“. Bestellungen an den Streiktagen seien aus den Nachbarländern Tschechien und Frankreich bedient worden. Amazon sehe sich zudem gezwungen, mit einer umfangreichen Werbekampagne zu reagieren und versuche, sich als „guter“ Arbeitgeber zu präsentieren.

„Wir organisieren die Beschäftigten bei Amazon gewerkschaftlich und bringen sie zusammen“, betonte Akman. Das Schlimmste sei, wenn die Arbeiter*innen Angst hätten, doch Streiks machten ihnen Mut. Der Arbeitskampf sei ein Zeichen an die gesamte Branche, dass man die Industrialisierung der Dienstleistung nicht widerstandslos hinnehmen werde, sondern für gute und gesunde Arbeitsbedingungen – zu denen auch Freiräume für die Beschäftigten gehören – kämpfe. Es sei gelungen, Amazon in Deutschland in die Defensive zu bringen, der Konzern müsse sich inzwischen öffentlich rechtfertigen. Unser Arbeitskampf bei Amazon hat zu wesentlichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen geführt, so Orhan Akman.

Christy Hoffman, Generalsekretärin von UNI Global Union, hatte zuvor in ihren einleitenden Worten gefordert, dass der Konzern als ein es der größten Unternehmen der Welt seiner sozialen Verantwortung gerecht werden müsse. Oliver Roethig, Regionalsekretär von UNI Europa, formulierte das Ziel, gleiche Bedingungen für alle zu schaffen und Schlupflöcher zu schließen, damit Amazon nicht geltendes Steuer- und Arbeitsrecht umgehen könne. Der Konzern müsse „ein echter Sozialpartner“ werden. Dazu gehörten der Abschluss von Tarifverträgen überall in Europa, Verhandlungen über die Bildung eines europäischen Betriebsrates, ein auf europäischer Ebene geführter Sozialdialog sowie die Umsetzung der Menschenrechtsgesetzgebung der EU.

Werner Stengg, bis zum 1. Dezember Referatsleiter Elektronischer Handel und Plattformen bei DG Connect in der EU-Kommission, führte aus, die Plattformen den Nutzerinnen und Nutzern einen einfachen Zugriff auf gewünschte Informationen und Dienstleistungen bieten, jedoch andererseits ein „Lock-In“, also der Ausschluss anderer Anbieter, drohe. Notwendig sei deshalb eine Regulierung der Plattformen, ohne deren „unvergleichbare Möglichkeiten“ aufzugeben.

Hinsichtlich der Digitalsteuer – deren Einführung durch die französische Regierung vor allem Konzerne wie Apple, Google und Amazon trifft und auf scharfe Kritik der US-Administration gestoßen ist – kündigte Stengg an, dass sich die Kommission bis Ende 2020 um einen internationalen Konsens bemühen werde. Sollte ein solcher nicht erreichbar sein, müsse es europäische Regelungen geben.

Insbesondere Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Vereinigten Staaten, dem Hauptsitz des Konzerns, nutzten das Symposium, um über die extrem hohe Produktivität und Arbeitsdichte, verbunden mit einer strikten Überwachung der Beschäftigten zu berichten. So haben Medienberichten zufolge in den USA seit 2013 mindestens sieben Amazon-Beschäftigte am Arbeitsplatz ihr Leben verloren, die Verletzungsrate liege bei Amazon rund dreimal höher als im Branchendurchschnitt. Solche Zustände sind nicht auf die USA beschränkt: Auch in Großbritannien mussten zwischen 2015 und 2018 rund 600 Mal Krankenwagen in die Betriebe gerufen werden.

Für Stuart Appelbaum, Vorsitzender der Retail, Wholesale and Department Store Union (RWDSU) aus den USA, ist Amazon ein Beispiel für Einschüchterung und Mobbing, insbesondere gegenüber Kolleginnen und Kollegen, die sich für einen Tarifvertrag und Gewerkschaften einsetzen. Der Exekutivdirektor des Awood Center in Minnesota, Abdiraham Muse, berichtete über die Bemühungen seiner Organisation, die aus Ostafrika stammenden Arbeiterinnen und Arbeiter bei Amazon zu organisieren. Das sei durchaus möglich, allerdings seien die Gewerkschaften noch sehr „weiß geprägt“, damit verfehle die Arbeiterbewegung ihr Ziel.

Stacey Mitchell, Codirektorin des Institute for Local Self-Reliance (ILSR) mit Sitz in Minneapolis, Portland und Washington, wies auf die Förderung des Konzerns durch die Politik hin. „Amazon existiert, weil politische Entscheidungen getroffen wurden“, betonte sie. Der Konzern habe insbesondere in seiner Anfangsphase von der Aufhebung früher geltender Gesetze zur Wettbewerbskontrolle in den USA profitiert. „Wären andere politische Entscheidungen getroffen worden, hätten wir heute eine offenere Welt.“

Breiten Raum nahm in der Veranstaltung das Thema Klimawandel und Klimaschutz ein. Der Journalist Brian Merchant wies einleitend darauf hin, dass die CO2-Emissionen von Amazon höher liegen als der gesamte Ausstoß von Ländern wie Dänemark oder der Schweiz. Zudem helfe Amazon Web Services (AWS) Öl- und Gaskonzernen bei der Erschließung neuer Bohrfelder, so dass diese ihre Förderung weiter steigern können.

Der ehemals selbst bei Amazon beschäftigte Klimaaktivist Paul Johnston ergänzte, dass AWS mit ihrer „Cloud“ der ertragsreichste Teil des Konzerns sei. So laufe auch das Videoportal Netflix über die von Amazon kontrollierten Server. Netflix soll einem Bericht der Zeitschrift „Nature“ zufolge inzwischen für mehr als ein Drittel des Internetverkehrs in den Vereinigten Staaten verantwortlich sein. Für den Betrieb der notwendigen Rechner sind riesige Energieressourcen notwendig. So werde ein in Irland neu errichtetes Rechenzentrum nach Fertigstellung der vollen Kapazität mehr als vier Prozent des gesamten Energiebedarfs des Landes verursachen.

Eliza Pan von der Bewegung „Amazon Employees for Climate Justice“ (Amazon-Beschäftigte für Klimagerechtigkeit) kritisierte die Verschärfung des „Klimarassismus“ durch Amazon. >Der Umwelt verschmutzende Lagerhäuser oder Serverfarmen würden in armen Gegenden eingerichtet, in denen vor allem Minderheiten leben, oder etwa nach Indien ausgelagert. Stolz präsentierte Windparks zur Energiegewinnung errichte man dagegen in den Vereinigten Staaten.

In diesem Zusammenhang hob sie die Bedeutung der beginnenden Organisierung der Tech-Worker des Konzerns hervor. Rund 9.000 Amazon-Beschäftigte hätten einen offenen Brief an Konzernchef Jeff Bezos unterschrieben, in dem Maßnahmen zum Klimaschutz gefordert wurden. Zudem beteiligten sich im September nach Pans Angaben rund 3.000 Angestellte mit einem Walkout am globalen Klimastreik.

In einer abschließenden Gesprächsrunde wurde die Diskussion auf die Steuerpolitik gebracht. Die Referenten stellten mehrere Beispiele für Steuervermeidungsstrategien speziell von Amazon vor. So gelang es dem Konzern – gemeinsam mit anderen Großunternehmen – im vergangenen Jahr, eine von Seattle geplante neue Steuer für größere Unternehmen zu kippen. Um Druck auf die Stadtverwaltung auszuüben, hatte Amazon sogar ein Bauprojekt gestoppt. Insgesamt zahlt Amazon in den USA de facto keine Bundessteuern, in Australien fielen bei einem Umsatz von einer Milliarde australischer Dollar (615 Millionen Euro) lediglich 20 Millionen Dollar (12,3 Millionen Euro) an Steuern an. „Das ist ziemlich wenig“, kommentierte Jason Ward vom Centre for International Corporate Tax Accountability & Research (CICTAR) in Sydney. Als eine mögliche Antwort auf diese Situation wurde die digitale Einkommenssteuer diskutiert, denn Profite könne man nicht verlagern, nur Profite.

Erschienen im Dezember 2019 auf der Homepage des ver.di-Fachbereichs Handel