Ernesto Che Guevara (Teil 2) – Comandante der Kubanischen Revolution

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Am 2. Dezember 1956 näherte sich eine Yacht der Südküste Kubas und landete bei Las Coloradas in der Provinz Oriente. An Bord waren Fidel Castro und 81 weitere Kämpfer, die mit ihrer Landung den Kampf für den Sturz des Diktators Batista fortsetzen wollten, den sie am 26. Juli 1953 mit dem Sturm auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba begonnen hatten. Aber die Landung wurde eher ein Schiffbruch. Nach einer tagelangen Überfahrt von Mexiko nach Kuba durch stürmisches Wetter lief das völlig überladene Boot auf Sand auf, das Beiboot war leck und ging unter. So musste die Gruppe von 82 Kämpfern, die sich an Bord befunden hatten, durch das Wasser an Land waten. Nur die Waffen und etwas Verpflegung konnten sie mitnehmen, während sie von den Flugzeugen der kubanischen Luftwaffe beschossen wurden. Sie schlugen sich tagelang durch Mangrovensümpfe und Zuckerrohrfelder. Vollkommen erschöpft kamen sie drei Tage später, am 5. Dezember, in Alegría de Pío an, wo sie eine Pause einlegten.

Unter den erschöpften Rebellen, die sich auf dem Boden niedergelassen hatten, befand sich auch Ernesto Che Guevara, der sich in Mexiko Fidel Castro angeschlossen hatte. Er war der Arzt der Gruppe und behandelte gerade die wunden Füße seiner Compañeros, als plötzlich Schüsse krachten und ein Kugelregen über die Gruppe herein brach, die nur noch ihre Gewehre und einige wenige Patronen besaß. Fast die Hälfte der Gruppe fiel bei diesem Überfall der Batista-Truppen, 20 wurden gefangen genommen, einige von ihnen sofort erschossen.

In seinem Buch „Pasajes de la guerra revolucionaria“, das nach dem Sieg der Revolution in Kuba erschien, erinnerte sich Che Guevara an das Gefecht: „In diesem Moment ließ ein Compañero eine Kiste mit Kugeln fast auf meine Füße fallen. Ich machte ihn darauf aufmerksam und der Mann antwortete mir mit einem Gesicht, an das ich mich genau erinnern kann, weil sich auf ihm der große Schrecken des Mannes widerspiegelte. Er sagte so etwas wie ´Jetzt ist nicht die Zeit für Munitionskisten´ und rannte sofort weiter (später wurde er von den Schergen Batistas ermordet). Vielleicht war dies das erste Mal, dass ich ganz praktisch vor der Entscheidung zwischen meiner medizinischen Aufgabe und meiner Pflicht als revolutionärer Soldat stand. Ich hatte vor mir eine Kiste voller Medikamente und eine Kiste mit Munition, zusammen waren sie zu schwer, um sie beide zu transportieren. Ich nahm die Munitionskiste und ließ die Medikamente zurück, um die Lichtung zu überqueren, die mich von den Zuckerrohrfeldern trennte.“

Ein „Abenteurer?“

Che hatte seine Entscheidung getroffen – für den Kämpfer und gegen den Arzt. Das hat dazu geführt, dass viele bürgerliche Journalisten (und Filmemacher) in Che nur den Abenteurer sahen. Mit der geschichtlichen Realität hat dieses Bild jedoch nichts zu tun. Nicht nur, weil Che auch weiterhin seine Compañeras und Compañeros und auch die Landbevölkerung behandelte, was mit entscheidend für die wachsende Unterstützung der Guerilleros durch die Bauern war, die oft in ihrem ganzen Leben noch nie einen Arzt gesehen hatten. Vor allem ignoriert das verkürzte Bild vom ewigen Rebellen den aktiven Einsatz Ches beim Aufbau des neuen Kuba nach dem Sieg der Revolution und seine wichtigen theoretischen Beiträge. „Immer wenn jemand für eine wichtige Aufgabe gebraucht wurde, stand Che bereit“, erinnerte sich Fidel Castro.

Am 26. November 1959, fast ein Jahr nach dem siegreichen Einzug der „Bärtigen“, wie die Guerilleros von der Bevölkerung genannt wurden, ernannte Fidel Che zum Präsidenten der Nationalbank Kubas. Bei den Weltfestspielen der Jugend 2005 in Caracas erzählte Venezuelas Präsident Hugo Chávez, wie es dazu kam: „Es gibt eine Anekdote, die ich von Fidel gehört habe: Als die Bärtigen aus der Sierra nach Havanna kamen und jetzt die Regierung zu bilden war, fragte Fidel bei einer Sitzung am frühen Morgen: ´Ist hier ein Ökonom (Economista)?´ Che antwortete sofort: ´Ich!´ und Fidel fragte ihn: ´Du bist Ökonom, Che? Ich dachte, du wärst Arzt?´ Che antwortete: ´Oh, ich habe mich verhört, ich habe Kommunist (comunista) verstanden´.“

Che hatte zu diesem Zeitpunkt bereits die Industrialisierungsabteilung des Instituts für die Agrarreform geleitet und führende Funktionen in der Rebellenarmee inne, aber er stürzte sich trotzdem ohne zu Zögern in die neue Aufgabe und nahm Unterricht, um seine ökonomischen Kenntnisse auszubauen. Es war ihm klar, dass die Nationalbank eine lebenswichtige Ader der kubanischen Wirtschaft war, durch die alle Finanzen der Insel flossen. Die Devisenreserven Kubas waren vom Batista-Regime geplündert worden, allein 424 Millionen Dollar hatte Batista auf seiner Flucht mit in die USA genommen. Es galt, entschlossene Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass auch noch die letzten Reserven von privaten Banken in das Ausland geschafft wurden, denn erst am 13. Oktober 1960 wurden alle in Kuba aktiven in- und ausländischen Banken verstaatlicht.

Doch wie sollte das gelingen? Die meisten Fachleute und Techniker hatten sich in die USA abgesetzt, wozu Washington mit Geldangeboten und Einreiseerleichterungen eifrig beitrug. Che zeigte diesen Fachleuten, was er von ihnen hielt, als er unmittelbar nach der Übernahme der Nationalbank-Leitung die neuen Geldscheine mit seinem Spitznamen „Che“ unterzeichnete. Die Contras tobten.

Auch wenn es die damaligen Spezialisten nicht wahrhaben wollten und ihre heutigen Kollegen noch immer nicht glauben: Che stellte an der Spitze der Nationalbank keinen Unsinn an. Er hatte bereits umfangreiche Kenntnisse, hatte viel gelesen – darunter auch Marx und Lenin – und war immer bereit, neue Erfahrungen und Erkenntnisse aufzunehmen und umzusetzen. So war es nur konsequent, dass er am 23. Februar 1961 Industrieminister wurde.

Schwierigkeiten des Neuaufbaus

In dieser Funktion erlebte Che selbst die Schwierigkeiten beim Neuaufbau eines revolutionären Staates und fasste sie im Februar 1963 in einem Artikel für die theoretische Zeitschrift „Cuba Socialista“ unter dem Titel „Gegen den Bürokratismus“ zusammen: “ Die ersten Schritte als revolutionärer Staat sowie die ganze Anfangsepoche unserer Regierungsführung blieben stark geprägt von den Grundelementen der Guerillataktik, die auch der staatlichen Verwaltung als Form diente. (…) Bei der Besetzung des ganzen komplexen Apparates der Gesellschaft stießen die Aktionsfelder der ´Verwaltungs-Guerillas´ aufeinander, es gab ständig Reibereien, Anordnungen und Gegenanordnungen, unterschiedliche Auslegungen der Gesetze – die in manchen Fällen auf das genaue Gegenteil hinausliefen – durch Institutionen, die ihre eigenen Diktate in Form von Erlassen herausgaben, unbekümmert um den zentralen Führungsapparat. Nach einem Jahr schmerzlicher Erfahrungen kamen wir zu dem Schluss, es sei unerlässlich, unseren Arbeitsstil völlig umzuwandeln und den Staatsapparat wieder in einer rationalen Weise zu organisieren, gestützt auf die in den sozialistischen Bruderländern bekannten Planungstechniken.

Als Gegenmaßnahme begannen sich also jene mächtigen bürokratischen Apparate zu organisieren, die diese erste Phase des Aufbaus unseres sozialistischen Staates kennzeichnen. Doch der Sprung war zu groß, und eine ganze Reihe von Institutionen, darunter das Industrieministerium, leiteten eine Politik funktioneller Zentralisierung ein, die die Initiative der Betriebsleiter übertrieben eindämmte. Dieses Zentralisierungskonzept erklärt sich aus dem Mangel an mittleren Kadern und der bislang herrschenden anarchistischen Einstellung, die einen enormen Eifer erforderlich machte, um die Erfüllung der Direktiven durchzusetzen. (…) So begann unsere Revolution unter dem Bürokratismus genannten Übel zu leiden.“

Che setzte sich detailliert mit den Erscheinungsformen dieses Bürokratismus auseinander, der unter anderem durch das Fehlen von Spezialisten hervorgerufen wurde: „Die Diskussionen pflegen endlos zu sein, ohne dass irgendeiner der Beteiligten die nötige Autorität hat, um seinen Standpunkt durchzusetzen. Nach einer, zwei und mehr Versammlungen bleibt das Problem bestehen, bis es sich schließlich von selber löst oder irgendein Beschluss gefasst werden muss, so schlecht er auch sein mag.

Das fast völlige Fehlen von Kenntnissen, was, wie gesagt, durch eine lange Reihe von Versammlungen wett gemacht wird, führt zum Versammlungsfetischismus, der sich vor allem im Mangel an Weitsicht bei der Lösung der Probleme niederschlägt. In solchen Fällen wird der Bürokratismus, das heißt das Bremsen der gesellschaftlichen Entwicklung in Form von Papierkrieg und Unentschlossenheit, den betroffenen Institutionen zum Schicksal.“

Ches Lösung war nicht etwa Aktionismus, wie man angesichts der verbreiteten Klischees über ihn glauben könnte, sondern „die staatlichen Apparate flexibler zu gestalten, um eine strenge, zentrale Kontrolle einzurichten“. Und weiter: „Wir müssen die Verantwortlichkeiten eines jeden Funktionärs analysieren, sie so streng wie möglich innerhalb gesetzter Grenzen festlegen, die unter Androhung härtester Strafen nicht überschritten werden dürfen, und auf dieser Basis müssen wir größtmögliche Befugnisse einräumen.“

Che war skeptisch gegenüber Versuchen, den Sozialismus mit kapitalistischen Methoden aufbauen zu wollen. Er setzte nicht nur auf materielle Anreize, sondern vor allem auf die Überzeugung der Menschen, auf moralische Werte. In „Der Sozialismus und der Mensch auf Kuba“ schrieb er: „Dem Hirngespinst nachjagend, man könne den Sozialismus mit den morschen Waffen verwirklichen, welche der Kapitalismus uns vererbt (die Ware als ökonomische Zelle, die Rentabilität, das individuelle materielle Interesse als Hebelkraft usw.), kann man sich leicht in einer Sackgasse verfangen. (…) Um den Kommunismus aufzubauen, müssen wir mit der materiellen Basis zugleich den neuen Menschen schaffen. Daher ist es so wesentlich, das Instrument für die Mobilisierung der Massen richtig auszuwählen. Dieses Instrument muss grundsätzlich moralischer Art sein – worüber man keineswegs den richtigen Einsatz des materiellen Anreizes, vor allem gesellschaftlicher Natur, außer acht lassen sollte.“

In dem 2006 erschienenen ausführlichen Interview mit Ignacio Ramonet unterstreicht Fidel Castro auch heute noch die Bedeutung Ches in den verschiedenen Regierungsfunktionen: „Che war der Mann, der dort sein musste, daran kann es nicht den geringsten Zweifel geben, denn Che war ein Revolutionär, war ein Kommunist und war ein hervorragender Ökonom.“

Erschienen in der Wochenzeitung UZ – Unsere Zeit vom 28. September 2007

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