Ernesto Che Guevara (Teil 1) – Der Weg nach Kuba

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Der junge Arzt, der sich am 7. Juli 1953 auf einem Bahnhof in Buenos Aires von seinen Eltern verabschiedete, ahnte nicht, dass dies ein Abschied für immer von seinem Heimatland war. Auch seine Mutter Celia und sein Vater Ernesto hofften, dass ihr Sohn, der erst vor drei Monaten seine letzten Universitätsprüfungen bestanden hatte, nach diesem letzten Ausflug ruhiger werden und eine Arztpraxis eröffnen würde. Schon von seiner letzten Reise, die er im Jahr zuvor mit seinem Freund Alberto auf einem klapprigen Motorrad unternommen hatte und die ihn durch Chile, Peru, Bolivien und schließlich Venezuela führte, hatte er nur heimkehren können, weil ihm ein Onkel den Flug von Caracas nach Hause bezahlte.

Weder der junge Ernesto noch seine Eltern ahnten, dass wenige Tage später, am 26. Juli 1953, der junge kubanische Rechtsanwalt Fidel Castro zusammen mit rund 160 Mitkämpfern zwei Kasernen in Santiago de Cuba angreifen würde um damit das Signal zum Sturz des verhassten Diktators Batista zu geben. Aber auch wenn sie es gewusst hätten, wäre ihnen wohl kaum in den Sinn gekommen, dass es irgendeine Bedeutung für sie haben könnte. Die Reise hatte für Ernesto keinen tieferen politischen Sinn, auch wenn die Herrschaft Juan Domingo Peróns nach dem Tod seiner in Argentinien heute noch verehrten Frau Evita immer unangenehmere Züge annahm. Ernesto floh „einfach nur vor all den Dingen, die mich störten“, wie er später in einem Brief schrieb.

Ernesto Guevara, der zwei Wochen zuvor seinen 25. Geburtstag gefeiert hatte, wurde bei dieser Reise von seinem Freund Carlos „Calica“ Ferrer begleitet. Ihr Ziel war Caracas, wo Alberto Granado, Ernestos Gefährte bei der gemeinsamen Motorrad-Reise im Vorjahr, in einem Lepra-Krankenhaus arbeitete. Doch zunächst führte sie ihr Weg in die bolivianische Hauptstadt La Paz, denn die Reise mit der Eisenbahn war die günstigste Reisemöglichkeiten für die jungen und finanziell immer klammen Leute. Heute wäre eine solche Reise übrigens kaum mehr möglich, da die Privatisierung der argentinischen Eisenbahn Anfang der 90er Jahre zu so massiven Streckenstilllegungen geführt hat, dass ganze Regionen Argentiniens vom Eisenbahnverkehr abgeschnitten und vom Zugverkehr lebende Ortschaften zu Geisterstädten wurden.

Das La Paz, in das Ernesto und „Calica“ kamen, war eine brodelnde Stadt. Im Jahr zuvor war die Revolutionäre Nationalistische Bewegung (MNR) unter Víctor Paz Estenssoro an die Macht gekommen und hatte Reformen eingeleitet, die Ernesto zunächst begeisterten. Die Schaffung von Milizen zur Verteidigung der Revolution, die Bodenreform und die Verstaatlichung der Zinnminen fanden seine Unterstützung. „Die Regierung wird vom bewaffneten Volk unterstützt, also kann sie nicht durch einen bewaffneten Angriff aus dem Ausland gestürzt werden. Sie kann nur ihren eigenen inneren Streitigkeiten unterliegen“, schrieb er in einem Brief an seine Freundin Tita Infante. Doch schnell erkannte er auch die inneren Widersprüche und Halbheiten des Prozesses. Während er bei einem Termin mit dem bolivianischen Minister für Indio-Angelegenheiten, Ñuflo Chaflés, darauf wartete, vorgelassen zu werden, musste er entsetzt erleben, wie die vielen ebenfalls wartenden Indios von einem Mitarbeiter des Ministeriums mit Insektenvernichtungsmitteln abgesprüht wurden. Ernesto kommentierte in einem Brief: „Die Leute, die an der Macht sind, besprühen die Indianer mit DDT um sie zeitweise von ihren Flöhen zu befreien, lösen aber nicht das eigentliche Problem, nämlich die Ausbreitung der Insekten.“

Wenige Wochen später setzten sie ihren Weg in Richtung Caracas fort. Sie umgingen den brasilianischen Regenwald und reisten zunächst nach Peru und von Lima aus im Autobus nach Guayaquil in Ecuador. Hier schlossen sich den zwei Reisenden weitere junge Argentinier an, die Ernesto schließlich überredeten, statt nach Venezuela lieber nach Guatemala weiterzureisen. Dort war unter dem Präsidenten Jacobo Arbenz ein Reformprozess eingeleitet worden, der in vielem dem Entwicklungsprozess in Bolivien glich und in gewisser Weise sogar radikaler war.

Guatemala war jahrzehntelang praktisch Privateigentum des größten US-amerikanischen Obst-Konzerns, der United Fruit Company, gewesen. Der Konzern betrieb Plantagen, die Post, die Eisenbahn und kontrollierte den einzigen Karibikhafen. 1936 war der „Krake“, wie die United Fruit Company im Volksmund hieß, bereits der größte Großgrundbesitzer Guatemalas geworden. Dabei konnte der Konzern auf die tatkräftige Hilfe des Diktators Jorge Ubico zählen, der den steuerfreien Import von allen nötigen Baumaterialien erlaubte und nur geringe Exportzölle auf die Bananenausfuhr verlangte. Als Gegenleistung konnte er sich auf die Unterstützung durch die USA verlassen.

Nicht so sein linksliberaler Nachfolger Arbenz. Er wollte per Gesetz bessere Arbeitsbedingungen, Mindestlöhne und Sozialleistungen einführen. Die United Fruit Company sah darin „Kommunismus“, protestierte beim US-Außenministerium und forderte einen Staatsstreich in Guatemala. Als Arbenz dann auch noch ein staatliches Verkehrsnetz gegen das Monopol des „Kraken“ ankündigte und mit einer Agrarreform die großen Latifundien an Kleinbauern verteilen wollte, schickte die CIA ihre ersten Agenten in das mittelamerikanische Land.

Ernesto traf rund ein halbes Jahr vor dem Staatsstreich in Guatemala ein. Hier wurde er der „Che“, wie ihn seine Freunde in Anspielung auf seinen argentinischen Dialekt nannten. „Che“ ist eine in Argentinien damals wie heute häufig gebrauchte Anrede, etwa mit „He du“ zu übersetzen. Che erlebte, wie die CIA mit einer planmäßig durchgezogenen Propaganda-Kampagne den Boden für den Sturz der demokratisch gewählten Regierung bereitete.

Im August 1953 hatte der US-amerikanische Nationale Sicherheitsrat knapp drei Millionen Dollar für den Sturz der demokratischen Regierung Guatemalas bewilligt. Sie wurden von der CIA in die Ausbildung einer Gruppe Paramilitärs sowie in einen geheimen Radiosender investiert, der am 1. Mai 1954 von Honduras aus den Betrieb aufnahm. Seine Aufgabe war es, durch das Streuen von Gerüchten den Eindruck zu erwecken, dass sich an der Grenze zu Guatemala eine große Armee auf eine Invasion vorbereite, um die Regierung von Arbenz zu stürzen. Diese Strategie zeigte Wirkung, als am Abend des 16. Juni 1954 tatsächlich rund 150 Paramilitärs das Land überfielen. Während der staatliche Rundfunk gestört wurde, sendete der CIA-Sender Falschmeldungen über Erfolge der Putschisten und löste damit während der zehn Tage dauernden Kämpfe unter den Anhängern der Regierung Panik aus. Präsident Arbenz erklärte am 27. Juni 1954 seinen Rücktritt.

Nach der Machtübernahme gehörte zu den ersten Amtshandlungen der Putschisten die Rücknahme der Arbeiterschutzgesetze und der Agrarreform. Die United Fruit Company war wieder Herr im Land.

Che, der sich aktiv an der Verteidigung der verfassungsmäßigen Regierung beteiligt hatte, floh in die argentinische Botschaft. Rund einen Monat blieb er dort und weigerte sich auch, mit einem Flugzeug nach Buenos Aires zurückzukehren, das Perón den argentinischen Bürgern in Guatemala geschickt hatte. Stattdessen entschied er sich, nach Mexiko weiterzureisen. Dort wollte er sich mit der damals 29 Jahre alten Peruanerin Hilda Gadea wiedertreffen, die er in Guatemala kennengelernt hatte.

Hilda Gadea hatte in Lima Wirtschaft studiert und war als erste Frau Mitglied der Parteiführung der peruanischen APRA (Revolutionäre Amerikanische Volksallianz) gewesen, einer 1924 als lateinamerikanische Bewegung und 1930 als peruanische Partei gegründeten Organisation mit damals antiimperialistischer Ausrichtung. Heute hat diese Partei, die den peruanischen Staatspräsidenten Alan García stellt, mit ihren Wurzeln kaum mehr etwas gemein, aber in den 50er Jahren verfügte sie noch über einen starken marxistischen Flügel, dem auch Hilda Gadea angehörte.

Nach einem Staatsstreich musste Gadea 1948 Peru verlassen und nach Guatemala ins Exil gehen. Hier arbeitete sie für die Regierung von Jacobo Arbenz, als sie Che Guevara kennenlernte und sich mit ihm anfreundete. Sie half dem chronisch unter Geldmangel leidenden Che finanziell aus und besorgte ihm Medikamente gegen sein Asthma, vor allem aber diskutierte sie lange mit ihm über die fortschrittlichen Entwicklungen in Bolivien und Guatemala, über die Sowjetunion und viele andere Themen. Durch Hilda Gadea lernte Che auch eine Gruppe kubanischer Anhänger Fidel Castros kennen, die in Guatemala im Exil lebten. Zunächst soll Che skeptisch auf die Berichte über den revolutionären Kampf in Kuba reagiert haben. Nach und nach gelang es den Kubanern aber, in ihm Interesse an der Bewegung zu wecken. Das dürfte für Che und Hilda einer der Hauptgründe für den Entschluss gewesen sein, nach Mexiko zu gehen, wo sie am 18. August 1955 heirateten, nachdem Hilda schwanger geworden war. Am 15. Februar 1956 wurde ihre Tochter Hilda Beatriz geboren.

Ein langes Eheleben blieb ihnen jedoch nicht vergönnt. Ende 1956 schiffte sich Che mit Fidel Castro, den er in Mexiko kennengelernt hatte, auf der Yacht Granma nach Kuba ein. Nachdem Che während des Guerrillakampfes in der Sierra Maestra seine künftige zweite Frau, Aleida March, kennengelernt hatte, wurde kurz nach dem Sieg der Revolution die Ehe zwischen Hilda und Che geschieden. Das hinderte Hilda Gadea nicht daran, mit ihrer Tochter in das revolutionäre Kuba zu gehen, wo sie bis zu ihrem Tod 1974 in hohen Funktionen für die kubanische Regierung arbeitete.

Erschienen in der Wochenzeitung UZ – Unsere Zeit vom 21. September 2007
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