Erfolgreiche Medienoffensive

Am 24. Juli beging der lateinamerikanische Fernsehsender TeleSur in Caracas sein fünfjähriges Bestehen. Ende November beschlossen die öffentlichen Rundfunksender Südamerikas, eine gemeinsame Radiostation als Stimme ihres Staatenbundes UNASUR zu gründen. Das sind zwei Beispiele einer Medienoffensive, mit der Lateinamerika darangeht, die eigenen Interessen zu vertreten.

Noch vor wenigen Jahren war in Mittel- und Südamerika außer den Kurzwellenprogrammen von Radio Habana Cuba zumindest legal in Rundfunk und Fernsehen kaum eine Meinung zu vernehmen, die dem Konsens der Herrschenden widersprach. In den 80er Jahren hatten noch kleine Untergrundsender, die oft von bewaffneten Widerstandsbewegungen betrieben wurden, versucht, ihre alternative Sicht der Ereignisse zu verbreiten. Doch mit den Friedensabkommen zwischen den Guerillas und den Regierungen zum Beispiel in Guatemala oder El Salvador wurden diese Stationen entweder abgeschaltet oder versuchten, sich in die legale Medienlandschaft ihrer Länder einzufügen. Der politische Anspruch blieb dabei auf der Strecke. So wurde aus dem bekanntesten Guerillasender »Radio Venceremos«, der Stimme der salvadorianischen FMLN-Guerilla, ein Musikdudelkanal »RV Mix« bzw. »Viva 100 cinco«. Nur in Nicaragua überlebten einige Wellen das Ende der Sandinistischen Revolution und blieben ihrer politischen Linie treu, so Radio La Primerísima in Managua und einige andere. Den Rest des Äthers besetzten nahezu ausnahmslos kommerzielle Fernseh- und Rundfunkprogramme, religiöse Missionssender sowie der eine oder andere staatliche Verlautbarungskanal.

Das war die Medienlandschaft Lateinamerikas, als sich Ende der 90er Jahre mit dem Amtsantritt von Hugo Chávez als Präsident Venezuelas progressive Entwicklungen abzuzeichnen begann. Dem neuen Staatschef und seinem revolutionären Regierungsprogramm stand eine Übermacht privater Medienkonzerne gegenüber. Diese hatten Chávez zwar wegen seiner Popularität bei der Bevölkerung während des Wahlkampfs gefördert, ließen ihn aber umgehend fallen, als deutlich wurde, daß der seine Wahlversprechen durchaus ernst meinte und gleich nach seiner Wahl daranging, sie umzusetzen. RCTV, Venevisión, Globovisión und andere begannen daraufhin mit einer ungezügelten Hetze gegen die Regierung, die zum – vorübergehenden – Sturz des Präsidenten am 11. April 2002 führte. Damals stellten sich die Oppositionskanäle vorbehaltlos den Putschisten als Sprachrohr zur Verfügung, während Proteste der Bevölkerung gegen den Staatsstreich so lange wie möglich verschwiegen wurden. Chávez stand hingegen kaum mehr als der Staatskanal VTV zur Verfügung, in dem sich schwerfällig und monoton eine politische Talkshow an die andere reihte.

Seither hat sich das Bild der Medienlandschaft in Venezuela grundsätzlich geändert. VTV ist zwar auf Dauer immer noch schwer verdaulich, und nach wie vor verfügen die Privatsender über die größten Marktanteile. Aber als Alternativen haben sich das basisorientierte Kulturprogramm ViVe sowie das öffentlich-rechtliche Tves etabliert, das 2007 die Frequenzen des früheren Kommerzkanals RCTV übernommen hatte, nachdem dessen Sendelizenz ausgelaufen war. Hinzu kommen TeleSur mit seinem lateinamerikanischen Nachrichtenprogramm und in der Hauptstadt der Jugendsender Ávila-TV. Im Radio haben sich neben unzähligen Privaten und den fünf Programmen des offiziellen Staatssenders Radio Nacional (RNV) mit Unterstützung der Behörden viele kleine Basisstationen breitgemacht, die sich an die unmittelbare Nachbarschaft richte, um damit einen Beitrag zum Aufbau der »Volksmacht« zu leisten.

Trotzdem kann keine Rede davon sein, daß dadurch die Meinungsfreiheit in Venezuela verschwunden wäre, wie dies von seiten der Opposition des südamerikanischen Landes immer wieder behauptet wird. Das zeigte beispielsweise eine Untersuchung des venezolanischen »Medienobservatoriums«, einer unabhängigen Organisation zur Beobachtung der Rundfunk-, Fernseh- und Presselandschaft des Landes. Im Vorfeld der Volksabstimmung im Februar 2009 über eine Verfassungsänderung, mit der Hugo Chávez eine erneute Kandidatur bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2012 ermöglicht wurde, konstatierte die Untersuchung zwar auch dem Staatskanal VTV eine deutlich unausgewogene Berichterstattung. Eine Analyse von dessen Sendungen und vondenen der drei wichtigsten Privatsender ergab jedoch, daß die Moderatoren der politischen Magazine und Talkshows nur zu 30 Prozent dem Anliegen des Referendums wohlwollend gegenüberstanden. 70 Prozent sprachen sich demgegenüber ausdrücklich für eine Ablehnung oder gegen eine Verfassungsänderung aus. In übertragenen Diskussionsrunden waren 55 Prozent der eingeladenen Gäste Gegner der »Enmienda«, weniger als ein Drittel konnten als Befürworter gelten.

Trotzdem ist der wachsende Einfluß »linker« Medien in Lateinamerika unübersehbar. Zum einen ist dies eine Folge der gestiegenen Zahl »linker« Regierungen mit dem entsprechenden Einfluß auf die Staatskanäle, aber auch des Aufbaus lokaler alternativer und der Basisradios. Dadurch können viele Entwicklungen und Ereignisse nicht mehr einfach verschwiegen werden. Zum Leidwesen mancher Regierungschefs sind zahlreiche Journalisten außerdem mutiger geworden und konfrontieren die Politiker mit unangenehmen Fragen. Doch während sie in Venezuela oder Ecuador damit kaum mehr als einen Wutausbruch des jeweiligen Präsidenten riskieren, können sie in Kolumbien damit ihr Leben aufs Spiel setzen. Noch immer gilt das Land als das für Journalisten gefährlichste Südamerikas. Allein im laufenden Jahr wurden Medienberichten zufolge zwei Reporter ermordet, zahlreiche andere mußten sich im Land verstecken oder im Ausland Zuflucht suchen. Zu diesen gehört der Chefredakteur der kommunistischen Wochenzeitung Voz, Carlos Lozano, der im Januar in Berlin Teilnehmer der Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt sein wird.

Erschienen am 15. Dezember 2010 in der Beilage medien der Tageszeitung junge Welt