Ende des Bruderkrieges

Kolumbiens Guerillaorganisationen reichen sich die Hand. In einem gemeinsamen Kommuniqué, das die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) und die Nationale Befreiungsarmee (ELN) am Mittwoch im Internet veröffentlichten, erklären die Führungen der bewaffneten Linksbewegungen einvernehmlich ein Ende »der tragischen Konfrontation«. Die Deklaration, als deren Unterzeichner die Regionalkommandos »Östliche Kriegsfront« der ELN und »Ostblock« der FARC firmieren, soll einen Schlußstrich unter die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den zerstrittenen Guerillas in der Provinz Arauca ziehen. Die seit Jahren in der Region schwelenden Konflikte zwischen den beiden Organisationen waren Ende Mai offen ausgebrochen. Während aus dem jetzt veröffentlichten Kommuniqué keine Details über die Ursachen der Auseinandersetzungen genannt werden, führt der kolumbianische Armeegeneral Rafael Alberto Neira Wiesner diese auf Konkurrenz um Gebietskontrolle und den Einfluß auf die Bevölkerung zurück. Einwohner der Region gerieten während der Gefechte immer wieder zwischen die Fronten, zahlreiche Familien flohen daraufhin aus dem Kampfgebiet. Das räumen FARC und ELN auch indirekt ein, wenn sie in ihrer Erklärung die Bauern zur Rückkehr auf ihre Ländereien ermutigen.

Kampf seit 50 Jahren

In der Region Arauca sind die beiden Organisationen seit ihrem Entstehen Mitte der 1960er Jahre präsent. Es sind die strategischen Vorteile vor Ort, die das dünn besiedelte Gebiet für die Guerilla so wertvoll machen. Gebirge, Täler und das Grenzgebiet zu Venezuela gelten als ideale Rückzugsgebiete, Ölunternehmen zahlen Schutzgelder.

Die FARC gingen aus Selbstverteidigungsgruppen entrechteter Kleinbauern hervor. Damit hatten diese auf den blutigen Bürgerkrieg zwischen Konservativen und Liberalen von 1948 bis 1953 reagiert, der mit über 200000 Toten als »La Violencia« (Die Gewalt) in die Geschichtsbücher einging. Nachdem sich zu seiner Beendigung die beiden großen Parteien auf die Bildung einer gemeinsamen Regierung geeinigt hatten, war Bogotá damals zunehmend gegen die Bauern vorgegangen, deren Gemeinschaften als »unabhängige Republiken« attackiert wurden. Nach einer Offensive der Armee mit Helikoptern und Napalm im Juni 1964 zogen sich die überlebenden Bauern unter Führung des legendären Comandante Manuel Marulanda nach Marquetalia im zentralen Andengebirge zurück. Dieses Ereignis wird von den FARC heute als ihr eigentliches Entstehungsdatum betrachtet. Demgegenüber war die ELN eine bewußte Gründung von 18 Bauern und Studenten, die am 4. Juli 1964 unter dem Eindruck der Erfolge der kubanischen Rebellenarmee Fidel Castros die erste Zelle der neuen Guerilla bildeten. Doch schon damals konnte die Regierung mit der Unterstützung US-amerikanischer Militärberater rechnen, die mitten im Kalten Krieg eine Linksentwicklung im süd­amerikanischen Land im Keim zu ersticken suchten. Die Großgrundbesitzer riefen paramilitärische Gruppen ins Leben, die in kaum verborgener Kooperation mit der Armee Massaker unter den Bauern anrichteten.

Gemeinsame Aktionen

Bereits im vergangenen Dezember hatten die zentralen Kommandostrukturen beider Guerillaorganisationen eine Erklärung veröffentlicht, in der sie ihren untergeordneten Einheiten befahlen, sofort die gegenseitigen Auseinandersetzungen zu beenden und die Zivilbevölkerung zu respektieren. Trotzdem eskalierte der Konflikt zumindest in Arauca, während FARC und ELN in der südwestlichen Provinz Nariño offenbar sogar gemeinsam operieren. So erklärten Sprecher der kolumbianischen Polizei in der vergangenen Woche, beide Organisationen seien gemeinsam für einen Anschlag gegen das Hauptquartier des Geheimdienstes DAS in der Stadt Pasto verantwortlich.

Analysten werten deshalb das jüngste Kommuniqué als ein Zeichen des Erstarkens der linken Guerilla. »Triumphalismus« sei fehl am Platz. In der Tageszeitung El Tiempo warnte León Valencia am 7. September vor der von Regierung und Medien verbreiteten Annahme, die »aufständischen Banditen« seien besiegt. Noch immer seien sie eine Gefahr für »Demokratie und Sicherheit«. Doch die eigentliche Gefahr kommt von anderer Seite. Eine in dieser Woche veröffentlichte, bislang jedoch kaum beachtete Studie der Menschenrechtsorganisation Indepaz spricht von einer »neuen Generation« der rechtsextremen paramilitärischen Gruppen. Die »Schwarzen Adler« oder »Rastojos« seien in 29 der 32 Provinzen aktiv. Deren rund 13000 Kämpfer hätten die Guerilla als »Hauptverursacher der Gewalttaten im Land« längst abgelöst.

Erschienen am 17. September 2010 in der Tageszeitung junge Welt (verfasst gemeinsam mit Benjamin Beutler)